Tortuga zugeht, liegt wohl in der Natur der Dinge. Das wird sich schon wieder legen, wenn alles in geordneten Bahnen verläuft.“
„Das meine ich nicht“, sagte die Queen. „Aber ist dir nicht aufgefallen, welche Eile dieser Amadou plötzlich hatte? Er hat Boussac sogar einen Umtrunk verwehrt und dringende Geschäfte als Grund angeführt.“
„Nun ja, vielleicht hat er es tatsächlich eilig“, sagte Caligula. „Oder was meinst du?“
Die Queen zuckte mit den Schultern. „Ich werde das verdammte Gefühl nicht los, daß da irgend etwas nicht stimmt. Vielleicht täusche ich mich, das mag sein. Trotzdem geht mir dieses seltsame Gebaren nicht aus dem Kopf. Wir sollten auf unser Schiff zurückkehren und uns davon überzeugen, daß dort alles seine Ordnung hat.“
„Du solltest nichts übertreiben“, sagte Caligula. „Aber bitte, wenn du meinst – schauen wir auf der ‚Caribian Queen‘ nach dem Rechten. Wir können uns dann immer noch darum kümmern, daß Boussac mit seinen Huren nicht zuviel Wirbel verursacht.“
Die beiden ließen sich zu ihrem Zweidecker übersetzen, wo sie sich als erstes davon überzeugten, daß eine ausreichende Besatzung an Bord war. Auch die übrigen Schiffe ihres Verbandes ließen sie überprüfen. Schließlich stellten sie zufrieden fest, daß man ihren Anordnungen Folge geleistet hatte. Auch wenn die Kerle nur noch Augen für die Mädchen hatten, würde es dennoch keiner wagen, ohne Erlaubnis sein Schiff zu verlassen.
Die Black Queen begab sich auf das Achterdeck und richtete ihr Spektiv auf die auslaufende „Coq d’Or“.
„Sie beginnen damit, das bunte Geflatter zu entfernen“, sagte sie. „Und sie befreien die Kanonen von ihren Umhüllungen.“
„Das ist wohl verständlich“, sagte Caligula grinsend. „Jetzt, da sie keine Weiber mehr an Bord haben, wird sich bei ihnen alles wieder normalisieren. Schließlich machen sie sich nur lächerlich mit dem bunten Firlefanz. Das Schiff gleicht einem Zirkus.“
„Vielleicht hast du recht“, meinte die Black Queen und drehte an der Optik ihres Kiekers herum.
An Land ging es weiterhin turbulent zu. In der Felsenkneipe „Zur Schildkröte“ herrschte Hochbetrieb.
Der dicke Diego und seine Schankknechte eilten dienstbeflissen hin und her. Auch wenn Diego das ganze Theater mit der Black Queen und den Mädchen nicht paßte, hatte er doch nichts gegen das glänzende Geschäft einzuwenden, daß sich jetzt anbahnte.
„Darf ich Ihnen meine Mädchen vorstellen, Monsieur?“ fragte Emile Boussac überflüssigerweise und zeigte mit Besitzerstolz auf die lebhafte Schar.
Diego wischte sich die feisten Hände an der Schürze ab und grinste breit.
„Eine wohlgelungene Zusammenstellung, Monsieur Boussac“, sagte er. „Eine schöner als die andere.“ Und mit gekonnt sorgenvoller Miene setzte er hinzu: „Da kann ich Ihnen nur wünschen, daß Ihre Geschäfte besser laufen als meine.“ Er hatte das Lamento noch nicht vergessen, daß er Boussac gegenüber angestimmt hatte. Jetzt mußte er bei seinen Aussagen bleiben.
Emile Boussac jedoch lächelte großmütig. „Das wird sich bald ändern, Monsieur Diego, Sie werden sehen. Von jetzt an rollen auf Tortuga die Goldstücke, dafür werde ich schon sorgen. Sehen Sie sich nur um, wie ausgehungert die Kerle auf die Mädchen starren. Sie können es gar nicht erwarten, ihr Geld loszuwerden.“ Er lachte, als habe er soeben einen guten Witz erzählt.
Willem Tomdijk, der hinzutrat, klopfte ihm auf die Schulter.
„Na siehst du, mein lieber Emile, ich habe dir von Anfang an Mut zugesprochen. Es braucht eben alles seine Zeit. Du hast dir wieder einmal ganz umsonst Sorgen bereitet. Dieser Kapitän Amadou ist ein cleverer Mann, er hat ein gutes Gespür und wußte, wo er dich auftreiben kann.“
Boussac fühlte sich wie im siebenten Himmel.
„Du hast recht, Willem“, sagte er. „Und wenn du erst deine neue Brauerei aufgebaut hast, so daß wir den Männern nicht nur erstklassige Mädchen, sondern auch erstklassiges Bier bieten können, dann sind wir alle wohlhabende Leute. Sie natürlich auch, Monsieur Diego“, fügte er noch hinzu.
Doch Diego winkte bescheiden ab, als erwarte er von der Zukunft nicht allzuviel.
Boussac fuhr fort: „Schauen Sie sich um, die ersten geschäftlichen Transaktionen bahnen sich bereits an. Der Ansturm der Männerwelt ist kolossal. Alles, was jetzt noch dringend gebraucht wird, sind einige Séparées – Sie verstehen? Ich brauche sie zumindest solange, bis ich ein eigenes Etablissement zur Verfügung habe. Selbstverständlich werden Sie bis dahin am Gewinn beteiligt.“
Diego schaffte es, einen gramgebeugten Eindruck zu erwecken, obwohl ihm innerlich das Herz hüpfte, wenn er an die prallen Lederbeutel dachte, in denen er sein Geld aufbewahrte. An die Black Queen verschwendete er in diesem seligen Augenblick nicht einen einzigen Gedanken.
Gerade wollte er sich – etwas von „ewiger Dankbarkeit“ murmelnd – zu seinem Schanktisch begeben, da gellte ein lauter Schrei durch die Kneipe. Diego fuhr verwundert herum und stellte fest, daß sich da ganz schön etwas zusammenbraute.
Fünf der „alteingesessenen“ Hafenhuren von Tortuga hatten sich Mut angetrunken, denn sie waren mit der übermächtigen Konkurrenz der fünfzig Mädchen aus Paris ganz und gar nicht einverstanden. Es war jetzt schon deutlich zu erkennen, daß die Kerle nur Augen für diese aufgeputzten Mademoiselles hatten. Und so etwas mußte böses Blut geben.
„Verschwindet, ihr verdammten Flittchen!“ schrie eine der Alteingesessenen – eine kleine, rundliche Lady, die nicht mehr zu den Jüngsten gehörte. „Geht dahin, wo der Pfeffer wächst, ihr verdammten Schlampen, oder wir kratzen euch die Augen aus!“
Boussac versuchte, die Lady zu beruhigen.
„Aber, aber, meine Liebe“, flötete er unter Aufbietung seines ganzen Charmes. „Warum diese Feindseligkeit? Hier auf Tortuga gibt es doch Arbeit und Brot für alle. Ich habe ein großmütiges Herz. Gerne nehme ich euch ebenfalls unter meine Fittiche.“
„Hör auf, große Töne zu spucken, du miese Ratte!“ kreischte die Dralle und stürzte sich im selben Moment auf Boussac. Noch bevor er sich von der Schrecksekunde erholen konnte, zog sie ihm die Fingernägel durch das Gesicht.
Ihre Kolleginnen fielen wie Furien über die verhaßte Konkurrenz her. Selbst Diego konnte nicht verhindern, daß in der „Schildkröte“ eine wüste Keilerei ihren Anfang nahm.
Während die Ladys schimpfend und kreischend aufeinander eindroschen und Manon von der Höhe eines Tisches aus ihre Einsatzbefehle brüllte, hockten die Männer an den Tischen und lachten, daß ihnen die Tränen über die Gesichter rollten. Ja, so etwas war ganz nach dem Herzen dieser Schnapphähne. Endlich war mal was los auf Tortuga.
7.
Die Black Queen kümmerte sich nicht um den schrillen Lärm, der aus der Felsenkneipe drang und bis zu den Ankerplätzen der Schiffe zu hören war. Ihre Aufmerksamkeit galt nach wie vor der „Coq d’Or“, die sich noch in Sichtweite befand.
Da geschah es plötzlich.
Die Black Queen hatte es zwar nicht wissen können, aber doch irgendwie instinktmäßig befürchtet: Wie aus heiterem Himmel rauschten drei Schiffe auf die Hafenbucht zu.
Es handelte sich um drei Segler, die der Black Queen nur allzugut bekannt waren: um die „Isabella IX.“, um die „Le Vengeur III.“ und den Schwarzen Segler, den der respekteinflößende Wikinger befehligte. Die Schiffe waren voll gefechtsklar und mußten bisher unter Land gesegelt sein, so daß sie niemand bemerkt hatte. Außerdem hatte die Aufmerksamkeit aller auf Tortuga der Ankunft der Mädchen aus Paris gegolten.
Da fiel es der Black Queen wie Schuppen von den Augen. Und jetzt wußte sie auch, daß ihr Mißtrauen begründet gewesen war. Es war ihr gleich verdächtig erschienen; daß der Franzose so eilig aufgebrochen war.
Die