denn er hatte auf dem Achterdeck der „Le Vengeur“ Carlos Rivero erspäht. Und den wollte er nicht ungerupft entwischen lassen.
Carlos Rivero, der einmal Bootsmann auf der früheren spanischen Kriegsgaleone „Aguila“ gewesen war, hatte dort eine Meuterei angeführt, weil er nicht gewillt war, gegen die Siedler in El Triunfo vorzugehen. Später hatte er sich mit Jean Ribault und Siri-Tong gegen die Black Queen verbündet.
Jean Ribault und Carlos Rivero erkannten das Vorhaben Cerranas rechtzeitig und waren sich darüber klar, daß sie ihr ursprüngliches Vorhaben, der „Isabella“ zu helfen, aufgeben mußten, um sich die „Aguila“ vom Leib zu halten.
Schon nach kurzer Zeit brüllten Ribaults Kanonen der „Aguila“ entgegen, wo Cerrana auf dem Achterdeck seine Befehle brüllte und drohend die Fäuste schwang, um Rivero Tod und Verderben anzukündigen.
Die Seewölfe waren somit wieder auf sich allein gestellt, denn der Wikinger hatte nach wie vor mit den Gegnern in der Bucht alle Hände voll zu tun.
Da der Zweidecker an der „Isabella“ vorbeigerauscht war und die Absicht hegte, über Stag und auf Parallelkurs zu gehen, hatte das Schiff der Seewölfe eine kleine „Verschnaufpause“.
„Wir stecken in einer üblen Lage“, sagte Hasard. „Mit ihren zwei Kanonendecks ist uns die ‚Caribian Queen‘ auf Dauer überlegen. Von Jean und Thorfin ist keine Hilfe zu erwarten, sie haben sich selber ihrer Haut zu erwehren. Also müssen wir eine vernünftige Entscheidung treffen.“
„Da hast du recht“, sagte Ben Brighton. „Wir werden zwar noch eine Weile die Verteidiger spielen können, aber irgendwann wird es verdammt brenzlig für uns. Die Sache ist von Anfang an schiefgelaufen – dank der Wachsamkeit der Queen.“
Die eisblauen Augen des Seewolfs blitzten. „Aber noch ist nicht aller Tage Abend, Ben, auch wenn wir uns für heute zurückziehen müssen. Ich halte den Rückzug für die vernünftigste Lösung, denn wir stecken zur Zeit in einer Patt-Situation, die sich für uns nur verschlechtern kann.“
Als Edwin Carberry das hörte, zog er ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter.
„Ich könnte wahnsinnig werden, Sir!“ stieß er hervor. „Ich könnte mit dem Kopf gegen den Großmast rennen! Wir hatten einen so ausgezeichneten Plan, und jetzt müssen wir wegen dieser plattfüßigen Rübenschweine tatsächlich das Feld räumen.“
„Ich weiß, Ed“, sagte Hasard. „Auch mir fällt diese Entscheidung nicht leicht. Dennoch muß die Vernunft siegen. Wir helfen niemandem, wenn wir uns hier in Stücke schießen lassen. In unserer gegenwärtigen Lage heißt die Devise Rückzug und Neuorientierung. Die Black Queen wird Tortuga so schnell nicht aufgeben wollen. Also wissen wir, auf was wir uns in Zukunft zu konzentrieren haben. Wir müssen die Lage neu überdenken und neue Pläne ausarbeiten. Eines Tages wird uns die Queen ins offene Messer laufen, das verspreche ich dir, Ed.“
Der Profos schob sein Rammkinn vor. „Und dann werde ich ihr die Haut in extra kleinen Streifen von ihrem schwarzen Affenarsch ziehen!“
„Ich werde sie sogar festhalten, damit du es tun kannst, Ed“, sagte der Seewolf nicht ohne Grimm. Es wurmte ihn mehr, als er jetzt im Gespräch zugab, daß sie es bisher nicht geschafft hatten, der Piratin eine endgültige Niederlage zu bereiten. Ja, verdammt, sie hatten sich bisher an diesem Teufelsweib nahezu die Zähne ausgebissen.
Old O’Flynn schüttelte enttäuscht den Kopf.
„Wäre ich nur halb so stark wie Simson“, murmelte er, „und hätte ich auch nur einen einzigen Eselskinnbacken zur Verfügung – ich würde sofort auf die ‚Caribian Queen‘ überentern und diesen dunkelhäutigen Philistern die Köpfe schiefsetzen.“
Hasard und Ben warfen dem Alten fragende Blicke zu, dann schüttelten sie verwundert die Köpfe. Hasard ließ der „Le Vengeur“ und dem Schwarzen Segler den Rückzug signalisieren. Es war Eile geboten, auch wenn der Zweidecker der Queen sein Wendemanöver noch nicht beendet hatte.
Dennoch ließen es sich die Arwenacks nicht nehmen, der „Aguila“ noch einige Kugeln zu verpassen. Old Donegal strahlte wie ein frischgebackener Kuchen, als es ihm – gewissermaßen zum Abschied – noch gelang, der Galeone mit einer Kettenkugel das Besansegel zu zerfetzen und einen Teil der Rahen zu zertrümmern. Der rauhbeinige Alte verstand es, mit den schwenkbaren Drehbassen umzugehen, das hatte er schon oft unter Beweis gestellt.
Seine Freude währte jedoch nicht lange, denn am Rückzug änderte sich zu seinem großen Leidwesen nichts.
„Gerade jetzt bin ich so schön dabei, den Torfkahn in Holzstückchen und Stoffetzen zu verarbeiten“, maulte er und schüttelte drohend die Fäuste zu den feindlichen Schiffen hinüber. „Wenn erst einmal meine ‚Empress of Sea‘ fertig ist, wird den, Kerlen das Lachen vergehen, mit der ‚Empress‘ werde ich ihnen noch das Fürchten beibringen!“
„Mit deinem Schiffchen hätten wir sogar gesiegt“, sagte Edwin Carberry bissig. „Die Black Queen hätte sich nämlich über die Nußschale totgelacht, und wir hätten jetzt unsere Ruhe vor ihr.“
Das war in gewisser Hinsicht Galgenhumor, und den hatten die Arwenacks jetzt nötig. Sie setzten auch noch den letzten Fetzen Tuch und jagten dann unter vollem Preß auf die offene See hinaus.
Mit einer Verfolgung rechnete der Seewolf nicht.
„Das kann sich die Queen nicht leisten“, sagte er, „sonst würde sie ihre Position auf Tortuga schwächen. Schließlich kann sie die Insel nicht ohne ihren ‚Schutz‘ zurücklassen.“
Er sollte recht behalten.
Niemand zeigte Anstalten, die Schiffe von der Schlangen-Insel zu verfolgen. Die Queen kannte mittlerweile sehr wohl die Stärke des Seewolfs, und sie wußte auch, daß er sofort seinen Nutzen daraus ziehen würde, wenn sie Tortuga schutzlos zurückließe. Zwar schickte sie den davonsegelnden Schiffen noch einige Kanonenkugeln hinterher, doch diese versanken wirkungslos in der Karibischen See.
Die Arwenacks wußten, daß sie ihre Taktik grundlegend ändern mußten, wenn sie der Queen das Handwerk legen wollten. Eine erneute Beratung mit den Gefährten auf der Schlangen-Insel war deshalb unumgänglich. Außerdem mußten auch die Gefechtsschäden ausgebessert werden.
Der Seewolf hielt es unter diesen Umständen für das sinnvollste, zunächst einmal die Schlangen-Insel anzulaufen …
ENDE
Burt Frederick
1.
Eine freudige Schar von Menschen erwartete die Heimkehrenden in der Bucht der Schlangen-Insel. Winkend und lachend bevölkerten die Daheimgebliebenen den Strand. Allem Anschein nach gab es Grund zur Erleichterung.
Denn die drei Schiffe, die in kurzen Abständen den Felsendom passierten und in die Bucht einliefen, wiesen keine erkennbaren größeren Schäden auf. So schien die Mission des Seewolfs und seiner Gefährten also erfolgreich verlaufen zu sein.
Indessen konnten weder Arne von Manteuffel, noch Hesekiel Ramsgate, Jerry Reeves, Oliver O’Brien oder Thorfin Njals Ehefrau Gotlinde und all die anderen ahnen, daß niemand an Bord der drei Segler an das Wort „Erfolg“ auch nur zu denken wagte.
Lediglich Arkana, die Schlangenpriesterin, stand ein wenig abseits. Sorgenfalten furchten ihre Stirn, denn seit ihrer letzten Zwiesprache mit dem Schlangengott wußte sie, daß das volle Ausmaß des Verdrusses für Hasard und seine Männer erst noch bevorstand. Gewiß, sie waren mit heiler Haut zurückgekehrt. Doch das bedeutete noch keinen Anlaß zum Aufatmen:
Mit jeder Faser ihrer Sinne spürte Arkana, welche Stimmung an Bord der Schiffe herrschte.