Eins stand deshalb fest: Solange die Black Queen in dieser Gegend ihr Unwesen trieb, würden sich Situationen wie die heutige wiederholen – bis eines Tages eine endgültige Entscheidung herbeigeführt wurde.
9.
Die Absicht des Dreimasters mit den zwei Kanonendecks war unverkennbar. Die „Caribian Queen“ war nach Backbord abgefallen und ging auf Gegenkurs zur „Isabella“. Bald würde das schwerbewaffnete Schiff auf gleicher Höhe sein.
Die Arwenacks hatten sich darauf eingestellt. Doch zuvor wollten sie noch eine Breitseite in die Hafenbucht feuern, von wo aus sich die drei anderen Galeonen heranschoben.
„Wir müssen denen unbedingt was vor den Bug geben“, sagte Hasard. „Der Durchbruch der Queen hat sie wahrscheinlich ermutigt, denn sie verhalten sich gerade so, als hätten sie von unserer Seite überhaupt nichts zu befürchten.“
„Dann sollten wir sie schleunigst vom Gegenteil überzeugen“, sagte Ben.
Genau das geschah.
„Volle Steuerbordbreitseite – Feuer!“ brüllte der Seewolf, und die Männer an den dreizehn Kanonen senkten die brennenden Lunten auf die Zündkanäle.
Sekunden später ließ ein ungeheures Brüllen und Fauchen das ganze Schiff erzittern und hart überkrängen. Die schweren Culverinen hatten ihre Kugeln ausgestoßen und rollten in den Holzlafetten zurück. Pulverdampf wölkte auf und beißender Qualm zog über die Decks.
Da die drei gegnerischen Galeonen der „Isabella“ die Bugpartien zuwandten, raste nahezu die Hälfte der Kugeln ins Wasser und riß gischtende Säulen hoch. Etliche der Siebzehn- und Fünfundzwanzigpfünder fanden jedoch ihre Ziele.
Die „Aguila“, die unter dem Kommando von Jaime Cerrana fuhr, empfing gleich zwei Treffer. Eine Kugel fetzte einen Teil der Balustrade hinweg, die die Back zur Galion hin abgrenzte. Die zweite Kugel schlug in die Back und landete im Inneren des Schiffes. Welchen Schaden sie dort anrichtete, war auf der „Isabella“ nicht zu erkennen.
„Hoffentlich ist sie dem Koch in die Pfanne gekracht“, wünschte Edwin Carberry. „Dann würde den Rübenschweinen wenigstens das heiße Fett um die Ohren spritzen.“
Die „Buena Estrella“ hatte ebenfalls zwei Treffer erhalten. Ihre Blinde samt Rah war weggefetzt worden, und im Focksegel klaffte ein riesiges Loch. Was die Kugel dahinter noch angerichtet hatte, war nicht feststellbar.
Am schlimmsten aber hatte es die „Vascongadas“ erwischt, die sich am weitesten vorgewagt hatte. Da ihr Kapitän keine Chance mehr sah, aus der Bucht auszubrechen, war er leicht nach Backbord abgefallen, um die Breitseite seiner Galeone zum Tragen zu bringen.
Zwei Kugeln der „Isabella“ hatten zwar nur leichtere Holzschäden am Schanzkleid angerichtet, die dritte aber war in die Kuhl gerast und hatte eine Kanone aus ihrer Verankerung gerissen. Diese rollte, Verwüstung hinterlassend, über die Planken.
„Wenn sich die gelockten Ziegenböcke auf das Rohr setzen, unternehmen sie eine rasante Spazierfahrt“, bemerkte Edwin Carberry, der an einer Heckdrehbasse auf Station war. „Soll ich ihnen noch ein bißchen zum Tanz aufspielen, Sir, was, wie?“
Der Seewolf hob abwehrend die Hände. „Wir müssen uns jetzt auf die ‚Caribian Queen‘ konzentrieren!“ rief er. „Sie wird gleich auf einer Höhe mit uns sein.“
Während die Culverinen der Steuerbordseite in Windeseile nachgeladen wurden, sorgte Al Conroy auf der Backbordseite dafür, daß die Geschütze, so gut es ging, auf den Zweidecker der Queen ausgerichtet wurden.
„Wir warten nicht, bis uns die ‚Caribian Queen‘ genau gegenübersteht“, sagte der Seewolf, „sondern wir feuern mit den Vordeckgeschützen, sobald sie die Nase vorstreckt.“
Und so geschah es auch.
Als sich der Bug des Zweideckers auf die Höhe der „Isabella“ schob, gab Hasard seinem Stückmeister ein Zeichen.
„Al!“ rief er. „Willst du dir nachsagen lassen, du hättest die neue Herrscherin von Tortuga nicht freundlich begrüßt?“
„Nein, Sir“, brüllte Al Conroy zurück, „ich weiß schließlich, was sich gehört!“
Gleich darauf brüllten die drei 17-Pfünder im Vordeck auf und stießen ihre Ladungen donnernd und zischend zu der „Caribian Queen“ hinüber.
Eine Kugel lag zu kurz und ließ das Wasser aufspritzen. Die beiden anderen sorgten dafür, daß den Galgenvögeln der Black Queen, die auf dem Vorschiff auf Station waren, Holzsplitter um die Ohren flogen. Doch nennenswerte Schäden hatten sie offensichtlich nicht angerichtet.
Doch das alles war nur der Auftakt gewesen – die erste Fühlungnahme zweier Giganten gewissermaßen.
Plötzlich begann es auf allen Seiten zu krachen. An den verschiedensten Bordwänden blühten gewaltige Feuerblumen auf.
Der Schwarze Segler und die „Le Vengeur III.“ hatten sich weit genug vor die Hafenausfahrt geschoben, um ebenfalls ihre Geschütze auf die Begleitgaleonen der Black Queen abfeuern zu können.
Beide Schiffe spuckten Feuer und Eisen. Der Wikinger saß wie eine nordische Gottheit in seinem „Sesselchen“ – einem fest in den Planken des Achterdecks verankerten Holzstuhl – und versprach seinen Männern lautstark, sie in Thule vier Wochen lang mit dem nackten Hintern aufs Eis zu setzen, falls sie nicht richtig zielten.
Auch auf der „Vascongadas“, der „Buena Estrella“ und der „Aguila“ begannen die Kanonen zu donnern. Ein Inferno an Feuer und Rauch lag plötzlich über der Hafenbucht von Tortuga.
Die Geschütze der „Caribian Queen“ konzentrierte sich auf die „Isabella“. Die Arwenacks konnten nicht vermeiden, daß auch ihnen das Holz um die Ohren flog.
Doch wie der Seewolf mit Erleichterung feststellte, hatte die erste Breitseite des Zweideckers weniger Schaden angerichtet, als erwartet. Die Mehrzahl der Schüsse hatte zu hoch gelegen, und die Kugeln waren über die Decks hinweggejagt.
Lediglich aus den Balustraden waren einige Holzstücke herausgebrochen, sonst war nichts passiert. Vor allem von der Crew war niemand verletzt worden.
Die Lage spitzte sich jedoch im Handumdrehen zu, und die Arwenacks wußten nur zu gut, daß sie sich in eine teuflische Lage manövriert hatten.
Obwohl der Wikinger und Jean Ribault aus allen Rohren feuern ließen, um die drei Galeonen in der Bucht auf Distanz zu halten, war den Seewölfen klar, daß sie sich auf Dauer nicht allein gegen den großen Zweidecker der Black Queen halten konnten.
Jean Ribault begriff rasch. Er, der der Queen und ihrem Liebhaber besonders zugetan war, ließ die „Le Vengeur“ leicht nach Steuerbord abfallen, um die „Isabella“ zu unterstützen. Sein Ziel war es, den Zweidecker von der anderen Seite her unter Beschuß zu nehmen. Doch bis dahin würde es noch etwas dauern.
Inzwischen aber spuckte die „Caribian Queen“ ihre Ladungen aus, und man sah deutlich, wie die schwarze Piratin auf dem Achterdeck hin und her lief und laute Befehle brüllte.
Die Arwenacks schlugen sich tapfer.
Jetzt flogen auch die ersten Brand- und Pulverpfeile auf den Zweidecker zu, die Batuti und Big Old Shane mit ihren Langbogen abgeschossen hatten. Ferris Tucker legte gerade eine Höllenflasche in die Abschußvorrichtung.
Trotzdem wurde den Seewölfen schnell klar, daß sie mehr und mehr in die Verteidigerrolle gedrängt wurden. Es war gar nicht mehr daran zu denken, der Black Queen durch einen überraschenden Angriff eine vernichtende Niederlage zu bereiten.
Auch dem Wikinger erging es so, seit Jean Ribault versuchte, der „Isabella“ beizustehen. Der Schwarze Segler allein konnte sich die drei Galeonen in der Bucht auch nicht auf Dauer vom Leib halten. Thorfin Njal mußte ebenfalls – so sehr er auch fluchte – die Verteidigerrolle übernehmen.