Zum Beispiel weist die Stelle
XIX (1,2) Vrowe, […] sich mich ein vil lützel an „Herrin, […] sieh mich ein bisschen an!“
mit dem Imperativ des trennbaren VerbsVerbtrennbares mhd. ansehen die Satzgliedstruktur auf:
(Nn), Imperativ, PNa, Art+Na, VerbzusatzVerbzusatz |
Bei kasusneutralen ErgänzungenErgänzung werden die möglichen Kasus durch Kleinbuchstaben angegeben (z.B. g/d = Genitiv oder Dativ). Endungslose Formen, bei denen alle Kasus möglich sind, werden durch 0 gekennzeichnet. „JunktorenJunktor“ bleiben unberücksichtigt; schwierig zu unterscheiden, ob z.B. bei des ein JunktorJunktor oder ein Pronomen im Genitiv vorliegt, ist in Fällen wie im folgenden Beleg:
XIa, 2 (7,8) jâ enwil ich niemer des eralten, swenne ich sie sihe, mir sî von herzen wol
Heinrich von MorungenDes kann hier als JunktorJunktor oder Verweisform auf einen eingebetteten Satz gesehen werden.
4.4 Ermittlung der Satzglieder im FrühneuhochdeutschenFrühneuhochdeutsch
Um die SatzgliederSatzglied in fnhd. Texten zu ermitteln und die auf dieser Sprachstufe geltenden SatzbaupläneSatzbauplan zu rekonstruieren, ist es notwendig zu speziellen Techniken zu greifen. Zunächst muss eine Reihe von immer denselben Verben gesucht und deren KontexteKontext auf ErgänzungenErgänzung und AngabenAngabe durch Quantifizierung (vgl. das Modell unter D.4.1) analysiert werden. WERNER WEGSTEIN und NORBERT RICHARD WOLF legten der Analyse folgende Texte (Korpus) der neuen geistlichen Prosa in Editionen zugrunde: „Legenda AureaLegenda aurea“ (1362), Ulrich von Pottenstein, „Katechismus“ (Anfang 15. Jh.), Bruder BertholdBruder Bertholds „Rechtssumme“, „Rechtssumme“ (1390, 1423, 1454) und Hugo Ripelin von Straßburg, „Compendium theologicae veritatis“ (1375, 1. Hälfte des 15. Jh.).
Das fnhd. Verb machen ist im Korpus in 19 Sätzen als PrädikatPrädikat belegt, die aufgrund der KontexteKontext in zwei Gruppen mit 1machen und 2machen aufteilbar sind, z.B.
1machen: Do mahte der boͤse geist ein vngewetter vffe dem mere
2machen: ob ich dir dinen sun mache lebende
In den neun Belegsätzen mit 1machen sind immer zwei ErgänzungenErgänzung vorhanden: im Nominativ (= Subjekt)Subjekt, im Beispielsatz der boͤse geist, und im Akkusativ, im Beispielsatz ein vngewetter vffe dem mere.
In den zehn Belegsätzen mit 2machen sind drei ErgänzungenErgänzung vorhanden: im Nominativ (Subjekt)Subjekt, im Beispielsatz ich, im Akkusativ, im Beispielsatz dinen sun, und eine dritte Ergänzung, die im Beispielsatz als Adjektiv (lebende) vorkommt, aufgrund der Analyse der anderen Belegsätze mit 2machen aber als ObjektsprädikativObjektsprädikativ (Epräd) identifiziert wird.
Dass bei fnhd. machen zwei unterschiedliche SatzbaupläneSatzbauplan, nämlich Enom, Eakk gegenüber Enom, Eakk, Epräd, vorkommen, wird durch die unterschiedliche Semantik von 1machen und 2machen erklärt: Das SememSemem von 1machen kann mit ‚herstellen‘ paraphrasiert werden, das Semem 2machen aber mit ‚bewirken‘. Aus der unterschiedlichen Semantik des Verbs können auch unterschiedliche Propositionsstrukturen abgeleitet werden:
1machen: Tätigkeits-PrädikatPrädikat (AgensAgens, Resultat)Resultat
2machen: kausativeskausativ PrädikatPrädikat [AgensAgens, ist-Prädikation (VorgangsträgerVorgangsträger, Eigenschaft)].
(Wegstein/Wolf 1982, 112‒121)
4.5 Vom Korpus zu den Satzmodellen und ihren Valenzträgern bei Martin Luther
4.5.1 Einleitende Bemerkungen
Den nachstehenden Ausführungen liegt eine Untersuchung zugrunde, die in Korhonen (1978) veröffentlicht wurde. Darin wurden valenzbezogene Methoden auf einen Luther-TextLuther, Martin, und zwar den Sermon „Von den guten Werken“, angewendet. Er wurde im Jahr 1520 fertiggestellt und stammt somit aus den ersten Jahren des literarischen Schaffens von Luther. Von Bedeutung und Wert dieser frühesten reformatorischen Schrift Luthers, die im Juni 1520 herausgebracht wurde, zeugen die sieben weiteren Ausgaben, die davon noch im selben Jahre erschienen. Für die unten vorzustellende Untersuchung wurde die Ausgabe exzerpiert, die als der Urdruck angesehen wird und im fortlaufenden Text abgedruckt ist (= D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesammtausgabe. Band 6. Weimar 1888, 196‒276). Der Text hat hier einen Umfang von 75 Seiten, wovon ein Widmungsbrief an Herzog Johann von Sachsen zwei Seiten, der Sermon selbst (nur dieser wurde für die Analyse berücksichtigt) 73 Seiten umfasst.
Die Untersuchung stellte sich zunächst die Aufgabe, aus den konkreten Satzgebilden der Textunterlage abstrakte syntaktische Grundstrukturen zu erschließen und diese Strukturen zu einheitlichen Gruppen zusammenzufassen. Dabei handelte es sich einerseits um Satzmodell-, andererseits Satzgliedum SatzgliedmodellSatzgliedmodellgruppen (freie AngabenAngabe blieben außer Acht). Weiterhin wurden die einzelnen Satzmodelle in Bezug auf die verschiedenen ValenzträgerValenzträger klassifiziert. Dadurch ließ sich die Umgebung des Valenzträgers genau beschreiben, was wiederum für die Ermittlung eventueller Änderungen in der Umgebung des Valenzträgers und für die Unterscheidung von Varianten den Ausgangspunkt bildete. Neben der Aufstellung und Besprechung von Strukturmodellen wurde jedoch auch einigen spezifischen Valenzproblemen nachgegangen. Damit bestand das Ziel der Untersuchung darin, den lutherschenLuther, Martin Sprachgebrauch im Sermon „Von den guten Werken“ im Hinblick auf die Valenz möglichst exakt zu erfassen.
4.5.2 Methode
4.5.2.1 Formalisierung und Abstrahierung
Da den Sätzen der Textunterlage eine morphofunktionelle Strukturbeschreibung zugeordnet wurde, die eine weitgehende Untergliederung erfordert, wurden als Grundlage der Formalisierung Buchstabenabkürzungen verwendet (dies ermöglichte also eine übersichtliche Darstellungsform). Die Grundgedanken der valenzbezogenen Satzstrukturbeschreibung und der systematischen Zusammenstellung von Satzmodellen waren in den 1970er-Jahren an der heutigen Sprache entwickelt worden, weshalb das Formalisierungssystem zuerst auf vorgegebene Kombinationsmuster der deutschen Gegenwartssprache gegründet werden musste. Entsprechend den Voraussetzungen einer morphofunktionellenSatzbauplanmorphofunktioneller Beschreibung wurden hierbei besonders solche Darstellungssysteme von Satzmodellen in Betracht gezogen, die morphosyntaktischemorphosyntaktisch Repräsentationsformen verschiedener ErgänzungsklassenErgänzungsklasse als konstitutive Einheiten aufweisen. Allein in Anbetracht der Art des Beschreibungsobjekts erwies es sich jedoch als notwendig, diese deduktive Vorgehensweise mit empirisch-induktiven Beobachtungen zu Satzstrukturen im Sprachgebrauch LuthersLuther, Martin zu verbinden. In der Praxis bedeutete das, dass für jede Kombination valenzgebundenervalenzgebunden Elemente, die in Listen der Satzmodelle des heutigen Deutsch nicht nachzuweisen war, ein neues Strukturmuster angesetzt wurde.
In systemgebundenen Darstellungen deutscher Satzmodelle wird von mehreren Merkmalen abgesehen, die für einen konkreten Satz charakteristisch sind. Da es sich aber in Korhonen (1978) um eine Erfassung des syntaktischen Sprachgebrauchs in einem fnhd. Text handelte, bezog sich die Abstrahierung nur auf einen strukturellen Aspekt des Satzes, nämlich auf die Trennung von ErgänzungenErgänzung und AngabenAngabe; mithin wurden andere Merkmale des Satzes, vor allem der kommunikative Aspekt und seine formalen Ausdrucksmöglichkeiten, beibehalten. In Hinsicht auf die verschiedenen Positionen des Satzes will das u.a. besagen, dass weder an Genus, Modus und Tempus des satzkonstituierenden Verbs noch am Aufbau nominaler und verbaler Ergänzungen vereinfachende Transformationen durchgeführt wurden. Zudem wurde noch an den folgenden drei Merkmalen festgehalten: Unterordnungsgrad des Satzes (regierender Satz, Ergänzungs- bzw. AngabesatzAngabesatz usw.), Satzgliedfolge und Vorkommen