Kerstin Groeper

Donnergrollen im Land der grünen Wasser


Скачать книгу

wohl. Er ging gern mit Freunden zur Jagd oder auf Reisen, denn dann vermied er unangenehme Begegnungen im Dorf. Er ahnte, dass junge Frauen ihn eher mieden, weil er als unnahbar galt, dabei sehnte er sich nach einer Gefährtin. Bei Kämenaw Nuki spürte er diese Vorbehalte nicht und so hatte er beschlossen, auf ihre ersten Riten zu warten. Es freute ihn, wenn sie ihn mit einem langen Blick aus ihren Augen verfolgte, wenn sie glaubte, dass er es nicht bemerken würde. Er ließ sie stets in diesen Glauben und lächelte dann voller Glück. Dass Machwao keine Einwände hatte, wenn er irgendwann um das Mädchen werben würde, hatte ihn erfreut. Kämenaw Nuki war bereits wie eine Knospe erblüht und es war absehbar, dass sie bald zur Frau heranreifte. Er hatte Geduld!

      Seine Gedanken kehrten in die Wirklichkeit zurück und er richtete die Aufmerksamkeit wieder auf die Umgebung. Er schlug einen leichten Bogen und kehrte schließlich zum Fluss zurück, um sich seinen Freunden anzuschließen. Der Gesang war verstummt und er wusste, dass sie aufbrechen wollten. Awässeh-neskas gehörte in die Hände erfahrener Medizinleute.

      Mit einer schnellen Bewegung ließ Wakoh sich zu Boden gleiten, als etwas in einiger Entfernung seine Aufmerksamkeit erregte. Es war nur ein Lichtreflex gewesen, wie wenn ein Blatt sich im Sonnenlicht wendete, und doch hatte es ihn aufgeschreckt. Sein Herz pochte plötzlich Blut durch seine Adern und seine Atmung wurde schneller. Es waren kaum noch Blätter an den Bäumen! Etwas hatte sich bewegt und dadurch das Licht unterbrochen! Kurz überlegte er, ob er zum Ufer zurückrennen sollte, um seine Freunde zu warnen. Andererseits wäre es besser, wenn er wirklich wüsste, ob tatsächlich eine Gefahr drohte. Wo zwei Anishinabe waren, lungerten vielleicht noch andere herum. Waren sie nur einer Vor- oder Nachhut begegnet? Sie waren nur langsam vorwärtsgekommen, weil sie immer wieder hatten halten müssen, um ihren Freund zu versorgen. Also wäre es durchaus möglich gewesen, dass andere Anishinabe sie überholt hatten.

      Auf allen vieren kroch er durch das Unterholz, sorgsam darauf bedacht, sich nicht durch unvorsichtige Bewegungen zu verraten. Hinter einigen Felsen richtete er sich vorsichtig auf und wagte einen Blick in die Richtung, aus der die Lichtreflexion gekommen war. Zwischen den Bäumen konnte er die deutlichen Umrisse einer Elchkuh und ihres Kalbes erkennen, die friedlich ästen und dabei in langsamen Schritten vorwärtsgingen. Ein dunkles, erleichtertes Lachen stieg in ihm hoch, das die beiden natürlich sofort in die Flucht trieb. Krachend brachen sich die beiden ihren Weg durch das Unterholz, trampelten bei ihrer panischen Flucht alles nieder, was ihnen entgegenkam, während Wakoh sich vor Lachen den Bauch hielt.

      Das Kälbchen stakste dabei auf seinen dürren Beinen neben der Mutter her und bei dem Versuch, unter ihren Bauch zu schlüpfen, brachte es die Elchkuh fast zum Stürzen. Mit einem hohen Sprung brachte sich die Kuh in Sicherheit, während das Kälbchen kläglich blökte.

      Hohhoh! Wenn er jemandem erzählte, dass er sich vor einer Elchkuh und ihrem Kalb gefürchtet hatte, dann wäre es um seinen Ruf geschehen. Kopfschüttelnd drehte Wakoh sich um und lief schnellen Fußes zum Kanu zurück. Seine Freunde sahen ihn fragend an und er machte eine beruhigende Handbewegung.

      „Nichts! Ich habe eine Elchkuh und ihr Kalb erschreckt.“ Machwao grinste frech. „Oder haben sie dich erschreckt?“

      Wakoh steckte die Anspielung mit einem Lächeln weg. „Vielleicht! Ich war in Sorge, ob vielleicht noch mehr Anishinabe in der Nähe sind.“

      „Und?“

      Die forschenden Augen ließen Wakoh ernst werden. „Nein! Wo eine Elchkuh mit ihren Kalb friedlich frisst, sind sicherlich keine Feinde.“

      „Wieso nicht? Du warst ja auch in der Nähe!“

      Wakoh lachte dunkel. „Ja, aber ich habe gelacht, als ich sie gesehen habe. Erst dann sind sie weggelaufen.“

      „Auch unsere Feinde sind geschickt darin, sich lautlos anzuschleichen“, gab Machwao zu bedenken.

      Wakoh nickte nur. Dazu gab es nichts zu sagen. Er half Wapus und Machwao, das Kanu ins Wasser zu schieben, und setzte sich wieder nach vorne. Vorsichtshalber legte er den Bogen griffbereit neben sich. Das Kanu schaukelte leicht, als auch Machwao und Wapus an Bord kletterten. Machwao steuerte das Kanu in die Mitte des verbreiterten Flusses, um es außerhalb der Pfeillänge möglicher Feinde zu bringen. Hier konnten sie aber auch bereits von weitem entdeckt werden. Im Schilf wären sie versteckt gewesen. Alles hatte seine Vor- und Nachteile. Aber Machwao wollte nicht durch die Uferpflanzen aufgehalten werden, sondern das Dorf möglichst schnell erreichen. Sie paddelten wieder zu dritt. Mit ruhigen, kräftigen Schlägen trieben sie das Kanu über das Wasser. Im Westen neigte sich die Sonne bereits dem Horizont zu und sie wussten, dass die Nacht schnell kommen würde. Die Tage waren bereits kurz.

      * * *

      Es war Abend, als sie endlich das Ufer ihres Dorfes erreichten. Wakoh rief um Hilfe und sogleich näherten sich die Bewohner, um zu sehen, was sich ereignet hatte. Wakoh deutete mit einer Kopfbewegung auf die am Boden liegende Gestalt und erzählte kurz, was passiert war. „Anishinabe haben uns überrascht und Awässeh-neskas schwer verletzt. Bringt ihn in die Metewin-Hütte.“

      Ein spitzer Schrei erhob sich aus der Menge und eine junge Frau drängte sich durch die Anwesenden. Es war die hochschwangere Ehefrau von Awässeh-neskas, die sich bestürzt über das Kanu beugte. „Mein Mann, mein Mann, was ist geschehen?“ Ihr Wehklagen war weithin zu hören, als die Männer den Verletzten vorsichtig aus dem Kanu bargen und zur Hütte der Metewin-Männer brachten. Der Eintritt wurde ihr verwehrt und so blieb sie klagend davor stehen, schlug die Hände vors Gesicht und sank schließlich in die Knie. Aber es war besser so. Die Medizinleute brauchten all ihr Wissen, all ihre Gesänge und all ihre spirituelle Kraft, um Awässeh-neskas zu helfen. Eine Frau, die kurz davor stand, ein Baby zu gebären, wäre keine Hilfe. Sie musste sich auf andere Dinge vorbereiten. Mehrere Frauen kamen zu Hilfe und führten die Frau in ihren Wigwam zurück. Die Schwiegermutter nahm die Frau tröstend in die Arme und es waren ihre Worte, die Regen-auf-dem-Wasser aus der Trauer rissen, denn auch die Schwiegermutter machte sich sicherlich große Sorgen um den Sohn. „Mutter, Mutter, wir müssen flehen!“, bat sie mit tränenerstickter Stimme.

      „Ja, meine Tochter. Wir müssen die Geister anflehen, ihn genesen zu lassen. Setz dich zu mir!“, forderte die Mutter ihre Schwiegertochter auf.

      Sie sangen und flehten die ganze Nacht, steigerten sich in eine Art Trance, als sie die Geister darum baten, Awässeh-neskas in seinem Kampf gegen das Böse in seinem Körper zu helfen. Ihre Stimmen mischten sich mit den Gesängen aus der Medizin-Hütte. Auch dort behandelte man den Verletzten hauptsächlich damit, seine spirituelle Medizin zu stärken. Dann wechselten sie die Verbände um die Schulter und überließen Awässeh-neskas dem Schlaf. Vielleicht lag es an den Gesängen, vielleicht an dem Kraut, das der Medizinmann auf seine Wunde gelegt hatte, oder an dem einschläfernden Trank, den man ihm eingeflößt hatte, aber Awässeh-neskas schlief ruhig und ohne sich hin und her zu wälzen.

      Am Morgen war das Fieber gesunken und die Männer trugen den Mann zurück in seinen Wigwam. Dort knieten die beiden Frauen – erschöpft von der langen Nacht – und sahen mit bangen Augen auf den erschöpften Krieger. Der Medizinmann trat hinzu und gab den Frauen noch Anweisungen, wie sie den Verband in den nächsten Tagen wechseln sollten. Dann verabschiedete er sich mit einem freundlichen Nicken. Auch er war müde. Die Geister forderten ihren Tribut, wenn sie Hilfe gewährten.

      Machwao begleitete unterdessen Wapus zu einem besonderen Mann. Er hatte die grünen Steine dabei, die sie gesammelt und erbeutet hatten. Nur auserwählte Männer durften sie bearbeiten. Es gab nur wenige Menschen, die das Geheimnis kannten und wussten, wie man die grünen Steine bearbeitete und schöne Dinge daraus herstellte. Mit diesen Waren wollten die Männer dann im Frühling aufbrechen, um weit im Süden Dinge einzutauschen, die es hier nicht gab. Auf ihrem Weg kam ihnen Wakoh entgegen. Auch er sah übernächtigt und müde aus. „Hast du etwas gesehen?“, fragte Machwao misstrauisch.

      Wakoh schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe die ganze Nacht gewacht, aber mir ist nichts aufgefallen.“

      Machwao senkte nachdenklich den Kopf. Es war nicht üblich, Wachen aufzustellen, aber vielleicht war doch Vorsicht geboten. Entschlossen schaute er Wakoh in die Augen. „Dann werde ich heute Nacht nochmals wachen!“, erklärte er sich bereit.