Die Zufriedenheit mit der Tätigkeit in der Seelsorge ist der Indikator, der alle Berufsgruppen auf ähnlichem Niveau miteinander verbindet. Die Gruppe der Gemeindereferen-tinnen und -referenten weicht in der Zufriedenheit mit den Entwicklungsmöglichkeiten und der Bezahlung jedoch nach unten ab. Das Nachdenken über die Aufgabe der Tätigkeit steht in deutlichem Zusammenhang mit höherer Unzufriedenheit mit der Tätigkeit. Bei Priestern gibt es einen stärkeren positiven Zusammenhang zwischen Lebenszufriedenheit und Arbeitszufriedenheit als bei den anderen Berufsgruppen.
4. Die Zufriedenheit mit dem Organisationsklima ist sowohl im Vergleich zur Lebenszufriedenheit als auch zur Arbeitszufriedenheit auf einem niedrigen Niveau. Der skeptische Blick auf die eigene Organisation verbindet alle Berufsgruppen ohne Unterschied. Es existieren negative Beziehungen zu Engagement und wahrgenommener Wertschätzung. Möglicherweise erklärt dieses Ergebnis die manchmal wahrzunehmende Skepsis gegenüber der hohen allgemeinen Lebenszufriedenheit. Es könnte sein, dass in der allgemeinen schwierigen seelsorglichen Situation eine große Fixierung auf die Unzufriedenheit mit der Organisation aufgetreten ist. Ob dabei die Ansprüche der Seelsorger/-innen an die eigene Organisation möglicherweise zu ideal sind, mag zu diskutieren sein. Auf jeden Fall gilt: Der Blick auf die Unzufriedenheit mit der Organisation „verschattet“ vermutlich den Blick auf die eigene Zufriedenheit.
3.5. Das Kohärenzgefühl bei Seelsorgenden: Herzstück der Salutogenese
Die Seelsorgestudie basiert mit ihrem Anforderungs-Ressourcen-Modell auf einem salutogenetischen Konzept (siehe Einleitung).15 Eine persönliche Ressource von besonderer Wichtigkeit – vielleicht sogar die zentrale Ressource – stellt das Kohärenzgefühl (SOC), ein Kernkonzept der Salutogenese, dar.
Folgende zwei Hauptfragen zum Kohärenzgefühl sollen im Folgenden beantwortet werden:
1. Welchen Status hat das Kohärenzgefühl bei Seelsorgenden in den verschiedenen pastoralen Arbeitsfeldern?
2. Welches Profil zeigen Personengruppen mit hohem und niedrigem Kohärenzgefühl in Bezug auf die Indikatoren von Lebensqualität, Gesundheit und Arbeitsfeld?
3.5.1. Das Konzept des Kohärenzgefühls im Modell der Salutogenese
Das Kohärenzgefühl (Sense of Coherence, abgekürzt: SOC) gehört zu den gesundheitsrelevanten Persönlichkeitsdispositionen. Das Kernstück des Konzeptes ist eine globale Lebensorientierung, welche Individuen und soziale Systeme in die Lage versetzt, das Leben als verstehbar, gestaltbar und motivational sinnvoll zu begreifen. Gesetzt den Fall, dass die äußeren Lebensbedingungen vergleichbar sind, ist das Kohärenzgefühl einer Art „Weltanschauung“ vergleichbar (so meinte Antonovsky selbst)16, die das Verhalten des Menschen gegenüber seinem eigenen Leben und seiner ihn umgebenden Welt grundlegend bestimmt. Antonovskys klassische Definition lautet : Der SOC ist „… eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass 1. die Stimuli, die sich im Verlauf des Lebens aus der inneren und äußeren Umgebung ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind; 2. einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Stimuli stellen, zu begegnen; 3. diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Anstrengung und Engagement lohnen“17.
Der englische Terminus „sense of coherence“, der im Deutschen meist mit „Kohärenzgefühl“ wiedergegeben wird, hat ein weites Bedeutungsspektrum. Gemeint ist nicht ein „Gefühl“ im engen Sinn der deutschen Sprache, sondern eine globale affektiv-kognitive und motivationale Orientierung mit Funktion der Handlungssteuerung. Es wirkt wie ein Dirigent, der Bewältigungsmuster aktiviert und dem Alltag Sinn und Richtung verleiht. Allerdings ist das Kohärenzgefühl kein Belastungsbewältigungsstil im engeren Sinne, sondern im Modell der Salutogenese viel grundsätzlicher konzipiert. Antonovsky veranschaulicht das Kohärenzgefühl am Beispiel der Figur des Moses von Michelangelo in San Pietro in Vincoli (Rom). Moses ist im Begriff, die Gesetzestafeln dem Volk Gottes – einer Gruppe freigelassener Sklaven – als Basis für einen „sense of coherence“ zu überbringen. Er ist selber dargestellt voller Kraft, Stärke und der Kraft zum Konflikt. Er blickt auf das Treiben des Volkes Gottes und wird – gemäß dem biblischen Szenario – alsbald die Tafeln zerschmettern. Trotzdem oder gerade deswegen ist für Moses wie für das Gottesvolk die Verankerung in JHWH das Fundament und die Kraftquelle für eine lange Wüstenwanderung und die Kämpfe um das Gelobte Land.18 Das Kohärenzgefühl ist daher so etwas wie ein fundamental erlebter Zusammenhalt der Welt und des Lebens. Es ist das „Gefühl des Verankertseins“ im Leben und in der Welt.19 Ganz allgemein könnte man das Kohärenzgefühl auch als „Lebenssicherheit“ bezeichnen, die sich konstruktiv auf die Alltagsgestaltung auswirkt.
In theologischer Interpretation legt sich daher die Analogie und Nähe zur Grundbedeutung des theologischen Begriffs der religio nahe. Religion vermittelt eine generelle Weltsicht aus der Perspektive einer Welt mit Gott. Religion verbindet den Menschen mit der Transzendenz. Sie verankert den Menschen in Gott und bietet ihm ein tragfähiges Fundament für das alltägliche Erleben und Verhalten.20 Das Kohärenzgefühl könnte man als die anthropologische Parallele zur religio verstehen. Daher gibt es auch zwischen diesen beiden Grundgegebenheiten empirische Parallelen, wenn man Kohärenzgefühl und Transzendenzbezug zueinander in Beziehung setzt (→ Kap. 7).
Psychologisch hat das Kohärenzgefühl in seiner oben zitierten Definition eine kognitiv-affektive, eine instrumentell-hand-lungsbezogene und eine motivationale Komponente. Diese sind zwar als Dimensionen theoretisch zu unterscheiden, aber im psychischen Prozess und in der Forschung nur schwer voneinander zu trennen.
Die kognitiv-affektive Komponente (sense of comprehensibility) ermöglicht die Strukturierung des Informationsflusses aus der „inneren“ und der „äußeren“ Umwelt und lässt diese als konsistent und mit den Ordnungsstrukturen des eigenen Lebens kompatibel und zukunftsträchtig erscheinen.
Die instrumentell-handlungsbezogene Komponente (sense of manageability) greift auf die Ressourcen zu, welche zur Lebensbewältigung zur Verfügung stehen und zum Einsatz gebracht werden können. Diese Ressourcen können aus dem Ressourcenreservoir der eigenen Person oder mit Hilfe signifikanter Anderer oder auch der Gottesbeziehung generiert werden.
Die motivationale Komponente (sense of meaningfulness) ist entscheidend dafür, dass eine Person das Leben als motivational sinnvoll empfindet und dass es sich lohnt, in die Gestaltung des Lebens zu investieren und Engagement zu zeigen.
Die Bedeutsamkeit des SOC für die Entwicklung von Lebensqualität, Gesundheit und Ressourcen ist in der Zwischenzeit sehr breit nachgewiesen worden. Hohes und niedriges Kohärenzgefühl haben Einfluss auf Gesundheit und Krankheit, auf Lebenszufriedenheit und Lebensqualität, auf Stress und Belastung.21 Das Kohärenzgefühl steht im Zusammenhang mit der Persönlichkeit und mit der Arbeitswelt, dort besonders im Kontext von Motivation, Führungsfähigkeit und Position am Arbeitsplatz.22
Gemessen haben wir das Kohärenzgefühl in der Seelsorgestudie mit der Kurzversion des Fragebogens von A. Antonovsky (SOC-13). Dieser Fragebogen kombiniert verschiedenartige Aussagen aus unvollendeten Sätzen und Fragen und lässt sie auf einer Bandbreite von sieben Punkten bewerten. Folgende Beispiele gehörten dazu:
– Die Dinge, die Sie täglich tun, sind für Sie: eine Quelle von tiefer Freude und Zufriedenheit … von Schmerz und Langeweile: sehr oft … selten oder nie.
– Wie oft haben Sie das Gefühl, dass die Dinge, die Sie im täglichen Leben tun, eigentlich