Mittel nicht schon im Jahr des Zuflusses für die steuerbegünstigten Zwecke verwendet oder zulässigerweise dem Vermögen zugeführt werden, ist ihre zeitnahe Verwendung nachzuweisen, zweckmäßigerweise durch eine Nebenrechnung (Mittelverwendungsrechnung).«428
In Nr. 1 Satz 1 des Anwendungserlasses zu § 63 AO wird diese Vorgabe ergänzt durch den Hinweis, die Körperschaft habe den Nachweis, dass die tatsächliche Geschäftsführung den notwendigen Erfordernissen entspricht, durch ordnungsmäßige Aufzeichnungen (insbesondere Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben, Tätigkeitsbericht, Vermögensübersicht mit Nachweisen über die Bildung und Entwicklung der Rücklagen) zu führen.
In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, dass durch das Jahressteuergesetz 2020 in § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO eine weitere Regelung aufgenommen wurde, wonach das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung nicht für Körperschaften gilt, deren jährliche Einnahmen weniger als 45.000,00 Euro betragen, § 55 Abs. 1 Nr. 5 S. 4 AO429. In der Praxis dürfte diese Regelung jedoch in Anbetracht der relativ geringfügigen Betragsgrenze für steuerbegünstigte Krankenhausträger keine größere Rolle spielen.
Im Zusammenhang mit dem Gebot der zeitnahen Mittelverwendung – genauer: im Zusammenhang mit Gestaltungsmaßnahmen zur »Vermeidung« nicht gewünschter zeitnaher Mittelverwendungen – wird häufig in Erwägung gezogen, Gewinne von steuerpflichtigen Tochterkapitalgesellschaften, beispielsweise einer Service-GmbH, nicht im Wege der Ausschüttung an die steuerbegünstigte Körperschaft (als Anteilseigner) weiterzuleiten, also in der Tochtergesellschaft (versteuerte) Rücklagen zu bilden. Dies dürfte prinzipiell zulässig sein. Denn die gewerblich tätige Tochtergesellschaft unterliegt – anders als die steuerbegünstigte Körperschaft – nicht dem gemeinnützigkeitsrechtlichen Gebot der zeitnahen Mittelverwendung.
Zumindest bei einer Mehrheitsbeteiligung – erst recht bei alleiniger Gesellschafterstellung – muss aber bedacht werden, dass bei einer derartigen Gewinnthesaurierung die Finanzverwaltung Anlass dafür sehen wird, die Geschäftsführung (der steuerbegünstigten Körperschaft) hinsichtlich der Einhaltung der Gemeinnützigkeitsanforderungen zu überprüfen430, auch wenn die Tochterkapitalgesellschaft über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt und deshalb ein »Durchgriff« sogar bei einer Alleingesellschafterstellung nicht möglich ist.
Bei erkennbar missbräuchlichen Gewinnthesaurierungen bei der Tochtergesellschaft ist ein Verstoß der steuerbegünstigten Körperschaft jedenfalls nicht generell auszuschließen. Derartige Gewinnthesaurierungen müssen durch wirtschaftliche Umstände bei der Tochtergesellschaft begründet sein, um nicht als »missbräuchlich« qualifiziert zu werden.431
Eine im Gesellschaftsvertrag der Tochter-GmbH festgelegte generelle Gewinnthesaurierung – und damit letztlich ein gesellschaftsvertraglich festgelegtes Gewinnausschüttungsverbot (an den steuerbegünstigten Gesellschafter) – dürfte jedenfalls gemeinnützigkeitsrechtlich unzulässig sein, wenn die steuerbegünstigte Körperschaft alleinige Gesellschafterin oder Mehrheitsgesellschafterin ist.432
Eine gesellschaftsvertraglich festgelegte Gewinnthesaurierung auf Ebene der steuerpflichtigen Tochter-GmbH wäre demgegenüber wohl gemeinnützigkeitsrechtlich noch unschädlich, wenn die steuerbegünstigte Körperschaft nur Minderheitsgesellschafterin ist und die GmbH-Anteile im Übrigen von fremden Dritten gehalten werden.433
Nicht eindeutig geklärt ist bisher die Frage, ob liquide Mittel, die eine steuerbegünstigte Körperschaft von einer anderen steuerbegünstigten Körperschaft nach deren Auflösung als satzungsmäßig vorgesehene Vermögensempfängerin erhalten hat, dem Gebot der zeitnahen Mittelverwendung unterliegen.
Diese Frage wird im Schrifttum mit dem Hinweis darauf bejaht, dass diese Mittel erst bis zum Ende des auf das Zuflussjahr folgenden übernächsten Jahres verausgabt werden müssen und deshalb ausreichend Zeit zur ordnungsgemäßen Mittelverwendung verfügbar sei. Außerdem müsste im Einzelfall die Gewährung einer längeren Frist (entsprechend der Regelung des § 63 Abs. 4 AO) zulässig sein.434
5 Gebot der Selbstlosigkeit: Erfordernis der Erstellung einer Mittelverwendungsrechnung
Die Mittelverwendungsrechnung als Nachweis der Erfüllung des Gebotes der zeitnahen Mittelverwendung wird in der Abgabenordnung selbst ausdrücklich nicht gefordert. Die Finanzverwaltung schreibt die Erstellung einer solchen Mittelverwendungsrechnung aber von jeder steuerbegünstigten Körperschaft seit langem vor.435
Es ist angesichts dieser Regelung zu empfehlen, (künftig) zu jedem Bilanzstichtag eine Mittelverwendungsrechnung – wohl in der Form einer steuerlichen Nebenrechnung zum handelsrechtlichen, nach den Regeln der KHBV und des HGB aufgestellten Jahresabschluss436 – zu erstellen, um sie (auf Anforderung) dem zuständigen Finanzamt zum Nachweis der zeitnahen Mittelverwendung vorzulegen bzw. vorlegen zu können. Darüber hinaus wird empfohlen, in einer erläuternden Anlage oder als weitere Untergliederung die Zusammensetzung der Rücklagen aus steuerlicher Sicht aufzuzeigen.
Problematisch und mit nicht unerheblichem Aufwand verbunden ist die Erstellung der Mittelverwendungsrechnung erfahrungsgemäß bei der erstmaligen Erarbeitung, und zwar im Hinblick auf die »Technik« ihrer Ableitung aus dem vorhandenen (handelsrechtlichen) Rechenwerk. Ist diese »technische« Hürde überwunden, kann zu späteren Stichtagen die Mittelverwendungsrechnung mit überschaubarem Zeitaufwand fortgeschrieben werden.
Dem Grunde nach stellt die Mittelverwendungsrechnung eine Mittelzu- und Mittelabflussrechnung dar. Sie beruht auf dem Zu- und Abflussprinzip.437 Die Überleitung der Bilanz bzw. der Vermögensaufstellung einer steuerbegünstigten Körperschaft in eine (gemeinnützigkeitsrechtliche) Mittelverwendungsrechnung ist schwierig, weil in der Bilanz nicht, jedenfalls nicht vollständig, erkennbar ist, welche Mittel (Vermögenswerte) bereits für satzungsmäßige Zwecke verwendet worden sind und welche nicht.
Bei einer erstmaligen Erstellung einer Mittelverwendungsrechnung z. B. im Jahre 2021 zum Stichtag 31.12.2020 kann eine Betrachtung des Vorjahres – 2019 – notwendig sein, beispielsweise um feststellen zu können, ob ein zum 31.12.2019 bestehender »Verwendungsrückstand« entsprechend der Bestimmung des § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO im Jahre 2020 »aufgeholt« worden ist. Möglicherweise ist eine zeitlich noch weiter zurückgehende Betrachtung erforderlich.
Eine solche rückgerichtete Betrachtung kann u. E. höchstens innerhalb der Aufbewahrungsfristen für Jahresabschlüsse gefordert werden. Eine Aufbewahrungspflicht besteht nach der Abgabenordnung nur für maximal zehn Jahre.438 Im Jahre 2021 könnte also eine »Rückrechnung« höchstens bis einschließlich 2010 gefordert werden, sofern der Jahresabschluss zum 31.12.2010 im Jahre 2011 erstellt worden ist. Auf der Basis des Jahresabschlusses zum 31.12.2010 müsste die Mittelverwendungsrechnung bis zum 31.12.2020 fortgeschrieben werden.
In vielen Fällen dürfte eine solche Rückrechnung aber entbehrlich sein, nämlich dann, wenn erkennbar keine »Verwendungsrückstände« aus Vorjahren zu berücksichtigen sind. Es kann dann stichtagsbezogen eine Mittelverwendungsrechnung erarbeitet werden.
Praktische Hilfestellung zur Ausgestaltung einer Mittelverwendungsrechnung gibt der Anwendungserlass des Bundesfinanzministers zur Abgabenordnung