Jan-Henrik Martens

Eine Heimat des Krieges


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Gaitaan hatte nur geschmunzelt und mit dem Kopf geschüttelt.

      „Wir sind da“, sagte der Händler, als er vor einer Lehmhütte stehen blieb, die im Schatten einer Kaserne lag. „Hätte ich gewusst, dass ihr kommt, hätte ich aufgeräumt.“ Er steckte einen rostigen Schlüssel in das Schloss, die Tür öffnete sich mit einem Quietschen.

      Das Innere der Hütte war finster. Spärliches Licht fiel durch ein einzelnes, kleines Fenster. Die Luft roch muffig. Im Raum war es kühl. Dutzende Holzkisten waren übereinandergestapelt, reihten sich die Wände entlang. „Beachtlich“, sagte Gaitaan. „Woher habt Ihr all die Kisten?“

      „Eine Karawane versorgt mich mit Waren aus dem Süden. Sie sind alte Freunde, verkaufen mir das Zeug äußerst billig. Aber sagt, warum fragt Ihr nach? Das ist doch nicht verboten.“

      Gaitaan brummte nur und durchschritt den Raum. Das Licht fiel auf seine hellgelben Schuppen, hob seinen Körper von der Dunkelheit ab. Das Scheppern seiner Stiefel hallte von den Wänden wider. Vor einer besonders großen Kiste blieb er stehen. „Hier riecht es komisch.“

      „S… so?“ Daarq machte ein paar Schritte zurück. Atoz stellte sich neben ihn, so dicht, dass seine Schulterplatten den Händler berührten. „Wollt Ihr uns verlassen?“, fragte Atoz. Daarq antwortete nicht.

      Gaitaan trat sacht gegen die Kiste und fragte: „Was dagegen, wenn ich sie aufmache?“ Daarq schwieg weiter, Gaitaan grinste und sagte: „Ich danke Euch für die Erlaubnis.“ Er zückte sein Schwert und stemmte die Kiste auf. Das Holz knarzte und knackte, bis es schließlich barst. Rohes Fleisch purzelte über den Boden, wirbelte Sand auf. Gaitaan lachte. „Es ist ein Wunder, Atoz. Der gute Daarq hier scheint mir der einzige Etarianer zu sein, der Fleisch vertragen kann.“

      „Was wollt Ihr mit dem widerlichen Fraß?“, fragte Atoz. „Verkaufen könnt Ihr es ja schlecht. Ober wollt Ihr, dass jeder Etarianer in der Stadt tagelang erbricht?“

      Daarq seufzte und ließ die Schultern hängen. Er wirkte erschöpft. „Das ist für die Menschen.“

      Gaitaan ging auf den Händler zu und sagte: „Ah, ein Wohltäter. Schenkt Ihr den Weichhäutern das Fleisch aus reiner Herzensgüte?“

      „Die Flüchtlinge haben Gold, nicht viel, aber genug“, sagte Daarq. „Sie bezahlen eine Menge für frisches Fleisch. Ich muss auch von was leben.“

      „Ich fürchte, Ihr habt Euch damit keinen Gefallen getan“, sagte Atoz. „Für dieses Vergehen müssen wir Eure Waren in Beschlag nehmen. Euer Marktstand wird geschlossen.“

      „Warum?“

      „Es ist das Gesetz des Superiorius“, sagte Atoz tonlos.

      „Aber … aber was mach ich denn jetzt?“

      Gaitaan klopfte dem Händler auf die Schulter und schenkte ihm ein Lächeln. Es hatte nichts Freundliches. „Das hättet Ihr Euch vorher überlegen sollen. Unserem Feind helfen zu wollen, dafür habe ich kein Verständnis.“ Dann verließ er das Warenlager und rief einige Wachen herbei.

      Daarq setzte sich auf eine Kiste und murmelte etwas. Atoz trat hinaus, zurück ins gleißende Sonnenlicht.

      Gaitaan stand neben einem Marktstand und betrachtete Amulette in der Auslage. Als er ihn erreichte, fragte Atoz: „Geht dir das nicht nahe? Wir haben gerade das Leben dieses Händlers zerstört.“

      „Wir? Nein, das hat er ganz allein zu verantworten. Hätte den Menschen nicht helfen sollen, seine Gier im Zaum halten müssen. Es ist ein Verbrechen, den Feinden Etasias beizustehen.“ Gaitaan wandte sich ab; damit war das Gespräch beendet. Er nahm ein Amulett in die Hand, drehte es hin und her, hielt es ins Sonnenlicht, fragte: „Hast du Gold bei dir?“

      „Ein bisschen“, sagte Atoz. „Was willst du denn damit?“

      „Ich möchte meiner Schwester etwas kaufen. Du machst es ja nie. Keine Sorge, du bekommst das Geld wieder.“

      Atoz kramte einen Geldbeutel hervor, reichte ihn Gaitaan. „Kauf ihr was Schönes, ja?“

      „Selbstverständlich. Weißt du, manchmal denke ich, sie hat was Besseres verdient. Aber nein, stattdessen muss sie mit dir alten Stinkstiefel vorliebnehmen.“ Er knuffte Atoz gegen den Arm und grinste. „Wahrhaftig eine Schande.“

      „Ich habe sie nicht gezwungen, mit mir zusammenzuleben.“

      Gaitaan verengte die Augen. „Ich scherze doch nur. Verflucht, was ist los mit dir? Du bist in letzter Zeit so angespannt. Fühlst du dich nicht gut?“

      Atoz blickte erneut Richtung Sonnenturm. Die gezackte Sonne auf dessen Spitze blendete ihn, erinnerte ihn daran, wie er den Menschen gegenübergestanden hatte, damals im Glaubenskrieg. Er war jung und unerfahren gewesen. Und in den Augen der Menschen hatte ein Feuer der Wut und der Leidenschaft gebrannt. Die Narben an Atoz‘ Körper konnten ihren Zorn bezeugen. Gegen Ende der Schlacht hatte er viel Blut verloren und in die braunen Augen des Menschenkönigs geblickt. „Es geht mir gut. Sag, macht es dir etwas aus, wenn ich dich allein lasse?“

      Gaitaan seufzte. „Du willst wieder mit ihm reden, stimmt‘s? Das geht nie gut aus. Tu dir das nicht wieder an.“

      „Ich muss. Wir sehen uns heute Abend“, sagte Atoz.

      Er schloss sich dem Strom etarianischer Passanten an, ging vorbei an Dutzenden Wachen, die Schilde und Hellebarden trugen. Als er über seine Schulter spähte, redete Gaitaan mit einer Händlerin, schenkte Atoz keinerlei Beachtung.

      Atoz erreichte die Innenstadt. Soldaten marschierten über den Platz vor dem Sonnenturm. Einige standen Wache und unterhielten sich. Ihre Rüstungen schimmerten silbern im Licht. Marmorgepflasterte Wege führten gradlinig in Richtung Turm, ähnlich den Speichen eines Rades. Zwischen diesen Wegen, die von Palmen gesäumt waren, ruhten Seen. Hellblau und still. Die Quelle befand sich unter der Stadt. Höhlen voller unterirdischer Seen versorgten Etovernem mit klarem, kühlem Trinkwasser; und dort, wo der Sonnenturm stand, hatte sich einst eine Oase befunden.

      Die ersten Etarianer in Vernland hatten die Wüste vor fünfunddreißig Jahren von einem Fürsten erstanden. Dann begannen sie damit, Etovernem um die Oase herum zu errichten. Lehm wurde gebrannt und Hütten wurden errichtet und große Schiffe hatten Marmor aus Etasia gebracht. Seitdem florierte die Stadt, und der Marmor des Sonnenturms erstrahlte im Herzen Etovernems.

      Jedes Mal, wenn Atoz den Turm betrat, dachte er an Gemälde aus Etasia. Atoz war unter den ersten Etarianern gewesen, die in Etovernem schlüpften. Er hatte die Heimat seines Volkes jenseits des Meeres nie gesehen. Nur die Gemälde, die in den Kasernen und Militärschulen hingen, verschafften ihm einen Eindruck von Etasia. Der Marmor, die goldenen Säulen in der Eingangshalle, die Wachen in schwarzen Rüstungen; alles im Sonnenturm sah genauso aus, wie sich Atoz das Land seiner Vorfahren vorstellte. Doch das Gold in Etovernem war lediglich Farbe, und oberhalb der Eingangshalle gab es keinen Marmor. Nur graues Gestein.

      Obergeneral Muutuq saß an seinem Schreibtisch. Er war ein alter Etarianer, hatte graue Schuppen und ein knochiges Gesicht. Er trug olivgrüne Leinenkleidung und ein Barett derselben Farbe, auf dem eine goldene Brosche in Form der gezackten Sonne steckte. Als Atoz das Arbeitszimmer betrat, sah der Obergeneral von einem Blatt Papier auf, musterte Atoz mit hellblauen Augen, die an den Himmel erinnerten. „Was machst du hier?“, fragte der Obergeneral.

      „Darf ich dich nicht besuchen, wenn mir danach ist?“, fragte Atoz.

      Muutuq sagte: „Wenn es doch nur so wäre; aber du kommst nur, wenn du etwas von mir willst.“

      Atoz setzte sich auf einen Holzstuhl und schlug die Beine übereinander. „Ich bin das Wacheschieben leid.“

      „Ha, daher weht also der Wind. Du bist zwar ein Kriegsheld, aber auch du musst deinen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Damit du nicht einrostest, wenn du verstehst.“

      „Kriegsheld … nenn mich nicht immer so.“

      Schweigen trat ein. Sonnenlicht fiel durch das Fenster, traf auf die hölzerne Einrichtung und die Hände des Obergenerals.