Jan-Henrik Martens

Eine Heimat des Krieges


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Krieg gebracht?“, fragte er. „Nur Tod und Unterdrückung. Wir wollten die Echsen aus Vernland vertreiben und im Gegenzug haben sie uns in den Arsch getreten, uns alles weggenommen, was uns heilig war. Das war dumm, dumm und unnötig. Wie der Krieg, den Euer Vater plant. Er sollte es besser wissen.“

      „Was meint Ihr damit?“

      „Och bitte, sagt mir nicht, dass Euer Vater nie erzählt hat, was sich damals vor den Toren Etovernems zutrug. Blut und Tod. Was für eine Verschwendung von Leben. Fragt Ihn danach.“

      „Wir haben nie über den Krieg gesprochen. Es gab Wichtigeres, und es würde Vater unglücklich machen. Die Niederlage beschäftigt ihn noch. Er denkt viel nach, isst kaum, wird immer dünner. Ich mache mir Sorgen.“

      „Ihr seid ein liebes Mädchen, wisst Ihr das?“ Kabalos seufzte. „Meine jüngste Tochter war genauso. Hat sich um mich gesorgt, als wäre ich ein Kind. Sie war eine gute Seele. Und wie habe ich es ihr gedankt? Habe sie mit einem Grafen verheiratet und in die Fremde geschickt. In irgendein Hinterland. Hat dort Kinder bekommen, bevor sie, fett wie sie geworden war, vom Pferd gefallen und nie wieder aufgestanden ist.“

      „Warum habt Ihr das getan?“

      „Der Adelsstand hat es verlangt. So wie bei Euch und diesem Rygmoor-Burschen.“

      Kabalos hatte eine Offenheit an sich, wie sie Saoana nie zuvor begegnet war. Er wirkte wie ein Mann, dem man sich anvertrauen konnte, ohne befürchten zu müssen, belächelt zu werden. „Diese Heirat, ich will sie nicht. Ich möchte nicht daran denken, Austadt für Owin zu verlassen.“

      Kabalos nahm einen Schluck Wein und sagte: „Ich habe elf Kinder, darunter acht Töchter. Jede von ihnen hatte Angst vor dem Heiraten. Ich weiß sehr wohl, was das bedeutet. Man muss sich einem fremden Mann hingeben, seine Kinder austragen, in seiner Burg leben, ohne gefragt zu werden, ob man das überhaupt wolle. Ich kann nicht behaupten, zu wissen, wie sich eine Frau fühlt, das kann selbst der weiseste Mann nicht, aber ich weiß, dass meine Töchter mit der Zeit glücklicher wurden. Die Tage werden vergehen, und aus einem Fremden wird ein Vertrauter werden. Ihr werdet sehen.“

      Kabalos‘ Worte hallten in Saoanas Gedanken wider wie Worte, die man zum ersten Mal hörte und ständig wiederholte, um sie sich besser einzuprägen. „Ich hoffe, Ihr habt recht.“

      „Das habe ich.“ Er zwinkerte ihr zu. „Doch Eure Heirat liegt noch in weiter Ferne. Erst gilt es, einen Krieg abzuwenden. Ich fürchte, das wird nicht einfach werden. Euer Vater ist sehr erpicht darauf, Echsen zu töten. Er ist ein Narr. Diese Flüchtlinge, die da aus dem Süden strömen, warum auch immer, die sind doch nur ein Vorwand. Seit Jahren lechzt er danach, Rache für den Glaubenskrieg zu nehmen. Aber wir sind den Echsen nicht gewachsen; und wenn wir alle im Krieg fallen, gibt es niemanden, den Ihr heiraten könntet. Dann hättet Ihr, wonach Ihr Euch sehnt. Nicht, dass es Euch glücklich machen würde. Die Schuppigen würden Euch im Meer ersäufen.“

      Als er Saoanas erschrockenen Gesichtsausdruck bemerkte, trank er seinen Wein aus, sagte dann: „Verzeiht mir. Ich bin ein alter Mann. Falsche Freundlichkeiten habe ich mir vor Ewigkeiten abgewöhnt. Ich bin wohl zu unsensibel geworden. Ich wollte Euch keine Angst machen.“ Kabalos drehte den Weinbecher um. Ein einziger Tropfen fiel glitzernd zu Boden. „Nun denn, ich muss Euch leider verlassen. Mir ist der Wein ausgegangen und ich brauche dringend Nachschub.“ Er lächelte und küsste ihre Hand, bevor er ging.

      Saoana blieb noch eine Weile auf dem Wehrgang stehen. Die Stimmen der Männer im Hof wurden lauter, der Wein erheiterte die Stimmung zusehends. Saoana spürte die Brise auf ihrer verschwitzen Stirn, blickte auf die Feuer im Zeltlager. Kinder gebären, alt und fett werden, sterben. Sollte das ihr Lebensinhalt sein? War das die unabänderliche Bestimmung, die der Große Richter für sie vorgesehen hatte?

      Saoana musste sich eingestehen, dass sie eine Ehe nicht verhindern konnte, gleich wie sehr sie es wollte. Selbst wenn Owin nicht ihr Gemahl würde, ein anderer Adeliger ließe nicht lange auf sich warten. Es gab genug Söhne, die um Saoanas Gunst buhlten, schließlich war sie eine Aureld und solch nobles Blut war heiß begehrt. Der Gedanke, dass es bald keine Adeligen mehr geben könnte, war wesentlich beunruhigender. Saoana wollte nicht daran denken, dass ihr Vater mit den anderen Fürsten gen Norden reiten und nicht zurückkehren könnte.

      Am nächsten Tag saß sie mit ihrem Vater im Garten der Burg. Amseln tschilpten in den Büschen und Bäumen. Der Himmel war erneut strahlend blau - wie seit Wochen schon - und der Wind verbreitete die Gerüche des Sommers. Rosen, Holunder, Lavendel. Saoana konnte die Ruhe und die Mittagssonne jedoch nicht genießen. Ihre Gedanken kreisten noch um das Gespräch mit Kabalos. „Vater?“

      „Hm?“ Er war blass, hing in einem Holzstuhl und hatte die Augen geschlossen. Ab und zu stöhnte er. Der Wein war ihm nicht bekommen.

      Saoana starrte auf ihre Fingernägel. „Ich habe gestern Abend auf dem Wehrgang mit Fürst Kabalos gesprochen.“

      „Dahin ist der Alte also verschwunden.“

      „Ja.“

      „Und? Worüber habt ihr geredet?“ Mit halbgeöffneten Augen musterte er sie neugierig.

      „Über deine …“ Ihre Lippen fühlten sich trocken an, ihre Kehle war wie verstopft.

      „Nun sag schon.“

      „Über deine … Kriegspläne.“

      „Ha, der alte Giftsack denkt, der Krieg sei Schwachsinn, nicht wahr? Glaub mir, Kabalos ist ein Spinner. Er ist bloß ein Greis, der ständig etwas auszusetzen hat. Am Essen, am Wetter, an anderen Fürsten. Gestern Abend hat er andauernd betont, wie blind wir alle wären, dass er nur nach Austadt gekommen sei, weil er Einladungen alter Freunde nicht ablehne. Er glaubt, die Grauen würden unsere Städte angreifen, wenn wir sie verließen. Nichts als leeres Geschwätz.“

      Saoana lächelte schwach. „Ja, den Eindruck hatte ich auch.“ Sie behielt Befürchtungen über Graue und das Gefühl, ihr Vater stürbe, wenn er in den Krieg zöge, für sich. Es war besser so. Tiogan machte nicht den Eindruck, als stünde ihm der Sinn nach Streit.

      „Worüber habt ihr noch geredet?“, fragte er.

      In diesem Moment gab es für Saoana nur eine Antwort. Sie wollte nicht wieder über die Ehe sprechen, das hätte Tiogan nur aufgeregt. Er würde Saoana wieder anschreien. „Das war alles. Kabalos wirkte ziemlich betrunken.“

      Tiogan nickte, schloss wieder die Augen und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.

      Es waren kaum zehn Minuten nach dem Gespräch zwischen Vater und Tochter vergangen, als Fürst Albin Rygmoor den Garten betrat. „Tiogan, hier bist du!“ Sein Gesicht war rot, und Wut entstellte seine großväterlichen Züge zu einer Fratze. Etwas lag unter dieser Wut verborgen. Etwas Trauriges und Verletztes. Wie bei einem Kind, das ein geliebtes Spielzeug verlor und - vor Wut und Trauer zugleich - weinte und brüllte.

      „Was ist los?“, fragte Tiogan.

      „Ich habe einen Brief erhalten.“ Albins Stimme zitterte, als müsse er sich beherrschen, nicht loszuschreien.

      Tiogan fragte: „Nun sag schon, was steht darin?“

      „Lies selbst … ich will die Worte nicht aussprechen.“ Er umklammerte ein bräunliches Stück Papier und reichte es Tiogan mit verkrampfter Hand. Albin warf einen letzten Blick auf den Brief, bevor er sich umdrehte und seine Aufmerksamkeit auf einen Lavendelbusch richtete.

      Anfangs atmete Tiogan ruhig und verzog keine Miene, doch je länger er las, desto tiefer wurden die Falten auf seiner Stirn. Seine Nasenflügel begannen zu beben. „Das darf nicht wahr sein … wie ist das möglich?“, fragte er, als er fertig war.

      „Dafür wird Blut fließen“, sagte Albin mit ruhiger, kalter Stimme. „Dafür werden Köpfe rollen.“

      Tiogan starrte ungläubig auf das Papier. Bienen summten, Vögel zwitscherten und Blätter raschelten im Wind. Es war eine unangenehme Stille, ein geschocktes Schweigen. Als hätte jemand etwas Vulgäres getan oder dem Fürsten eine Ohrfeige verpasst. Bis Saoana die Stille