Jan-Henrik Martens

Eine Heimat des Krieges


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      Sie seufzte. „Was betrübt dich schon wieder?“

      „Ich habe das Gefühl, dass ich versagen werde. Ich kann mir nicht vorstellen, die Fürsten davon zu überzeugen, dass wir einen Krieg brauchen, wenn wir eine Zukunft haben wollen. Kenne ich diese Männer überhaupt? Ich weiß es nicht. Zu lange habe ich auf ihre Bekanntschaft gespuckt. Ich nenne sie zwar Brüder, doch in Wahrheit sind sie mir fremd.“

      „Ist ein Krieg denn notwendig?“

      Tiogan schwieg und strich die Wellen der Bettdecke glatt, dann fragte er: „Wie meinst du das?“

      „Vielleicht sollten wir mit den Echsen verhandeln“, sagte Fernora. „Es muss doch etwas geben, das sie wollen … etwas, das wir benutzen können, um ihre Verbote aufzuheben.“

      „Mit den Echsen verhandeln?“ Tiogan schnaubte. „Du redest schon wie Qubertín. Die Schuppigen werden Vernland niemals verlassen, niemals aufhören, über unser Leben bestimmen zu wollen. Das muss uns klar sein.“

      „Aber gleich Krieg? Ist das nicht etwas … übertrieben?“

      Tiogan sagte: „Vielleicht ist es das, aber vielleicht ist ein Krieg das einzige Mittel, um frei zu sein. Und denk an Albin. Die Echsen haben den Frieden beendet, nicht wir.“

      Fernora hob den Blick. Ihre Augen glitzerten im Mondlicht. „Schreckliche Sache … die ganze Stadt, einfach niedergebrannt.“

      Schweigen trat ein. Fernora drehte sich zu ihrem Gemahl - die Bettdecke raschelte -, dann blickte sie gedankenverloren aus dem Fenster.

      Tiogan starrte auf seine Zehen. Er dachte an Albin, an sein wutverzerrtes Gesicht, die Trauer, den Verlust. Ein Fürstentum war bereits gefallen, bevor der Krieg begonnen hatte. Tiogan bezweifelte, dass Albin immer noch zehntausend Mann bereitzustellen vermochte. Bei dem Gedanken keimte Wut in ihm auf. Blut rauschte durch seine Schläfen und seine Hände begannen zu zittern. „Wir müssen uns dafür rächen … wir müssen“, sagte er. „Niemand brennt ungestraft eine Stadt der Menschen nieder. Nicht, solange ich lebe.“

      „Männer und ihre Kriege“, sagte Fernora. „Denkst du dabei auch an Saoana? Was passiert mit ihr, wenn du nach Norden ziehst? Unser Mädchen hängt sehr an dir, das weißt du doch.“

      „So sehr, dass sie einen Gefangenen befreit, den ich habe einsperren lassen?“

      „Sie mag die Echse.“

      „Du weißt gar nicht, wie sehr mich das beunruhigt. Trotzdem denke ich jeden Tag an meine Tochter. Ich liebe sie, aber es gibt Dinge, die müssen getan werden. Ich werde den Glanz früherer Zeiten zurückbringen. Obwohl Willet nicht mehr ist, hat sich nichts verändert. Wir werden den Krieg gewinnen, Saoana wird den Bund mit Owin eingehen und ich werde dafür sorgen, dass Vernland wieder den Menschen gehört.“ Während er sprach, sah er seine Frau nicht an. Sie würde erkennen, dass ihm diese Worte nichts bedeuteten, dass er sie bloß benutzte und nichts dabei empfand.

      „Der Glanz früherer Zeiten? Darum geht es dir? Sieh mich an“, sagte Fernora. Tiogan zwang sich, in ihre Augen zu schauen. Fernora fragte: „Es geht hierbei nur um ihn, nicht wahr? Um nichts anderes.“

      Sie hielten lange Blickkontakt. Tränen sammelten sich in Fernoras Augen. Ihre Mundwinkel zuckten, als wollte sie etwas aussprechen, das sie sich nicht zu sagen traute. Nicht, weil es Tiogan wütend machen würde, sondern weil es schmerzte, darüber zu reden. Selbst nach all den Jahren. Fernora wusste es. Sie kannte Tiogans Beweggründe, hatte sie immer gekannt.

      „Wir sind alt“, sagte er und streichelte über ihre Wange, versuchte, es möglichst liebevoll zu tun. Seine rauen Finger kratzten über ihre sanfte Haut. „Es bleibt nicht mehr viel Zeit, um unsere Rache zu nehmen. Wenn wir nicht bald zuschlagen, werden wir sie nie bekommen.“ Er küsste sie auf den Mund, schloss die Augen und spürte ihren warmen Atem.

      Als sich ihre Lippen lösten, sagte Fernora: „Versprich mir nur eines. Wenn du bekommen hast, wonach du dich sehnst, wenn du dieses Scheusal getötet hast, dann kehre gesund zu uns zurück. Saoana braucht dich … ich brauche dich. Versprich es mir.“

      Tiogan antwortete nicht, hörte auf, Fernoras Wange zu streicheln.

      Fernora drehte sich weg, so heftig, dass die Bettdecke von Tiogans Beinen gerissen wurde. Sie wimmerte leise und schenkte Tiogan keinerlei Beachtung mehr, so als könnte das die Erinnerungen und Ängste fortwischen.

      Tiogan sah aus dem Fenster, zu den Sternen und dem Mond, und seine Gedanken kehrten zu den Gesprächen zurück, die allesamt im Fehlschlag endeten, während seine Gemahlin so tat, als würde sie schlafen.

      Die Sonne ging unter. Der Himmel über Austadt leuchtete orangerot. Die Stunde des Kriegsrats war gekommen. Tiogan trug sein feinstes Gewand - dasselbe, das er beim Abendessen mit Albin getragen hatte - und ordnete ein letztes Mal seine Gedanken. Doch es fiel ihm schwer. Seine Knie schmerzten wieder. Ein Ziehen, das bei jedem Schritt durch die Beine fuhr. Er verzog das Gesicht, als er über den Burghof ging, und wünschte sich, wieder jung zu sein. Jung und stark wie in den Tagen vor der etarianischen Herrschaft. Aber diese Zeiten waren vorbei.

      Seine Schultern knackten, wenn er ein Schwert schwang, Treppensteigen erschöpfte ihn und manchmal war er außer Atem, musste husten und spürte Schmerzen in seiner Brust, ohne dass er sich erklären konnte, warum. Er war ein alter Mann, und seine Blütezeit lag längst hinter ihm. Im Kampf würde er keine große Gefahr darstellen, aber er hatte keine Wahl. Er musste eine letzte Aufgabe erfüllen. Das war seine Pflicht als …

      „Vater?“ Saoana trat hinter einer Säule hervor.

      „Was machst du hier?“, fragte Tiogan.

      „Ich habe mich mit Juana im Garten unterhalten. Sie hat wieder über meine Hochzeit mit Owin geschwärmt.“ Juana, dieses dümmliche Bauernmädchen, das mit dem Glück gesegnet war, als Zofe in der Burg zu landen, schien der einzige Mensch zu sein, mit dem Saoana offen reden konnte. Aber das hatte auch etwas Gutes. Wenn sie von der Hochzeit schwärmte, würde die Begeisterung möglicherweise auf Saoana abfärben. Das hoffte Tiogan zumindest. „So wie sie redet, könnte man meinen, es gäbe nichts Schöneres“, sagte Saoana. „Die Vorstellung, bald verheiratet zu sein, fühlt sich …“

      Tiogan hob die Hand. „Wenn du dich wieder beschweren willst, spar dir den Atem.“ Saoanas hübsches Gesicht war Fernoras sehr ähnlich. Wenn er sie so sah, mit ihrem schüchternen Blick und dem zusammengepressten Lippen, dann wünschte er sich, in der Vergangenheit weniger streng gewesen zu sein. Weniger Gebete, weniger Rüge. Doch es war notwendig gewesen. Verhätschelte Kinder machten keine guten Herrscher. „Ich bin immer noch enttäuscht von dir“, sagte Tiogan. „Xaviin einfach zu befreien, was hast du dir dabei gedacht, hm?“ Seine Stimme wurde zu einem Zischen. „Wie stehe ich denn da, wenn ich die Fürsten darum bitte, ihre Beobachter wegzusperren, meinen eigenen aber frei herumlaufen lasse? Das könnte all meine Pläne zunichtemachen, mich in ein schlechtes Licht rücken. Geht das in deinen Schädel? Das ist dumm und töricht, Saoana.“

      Saoana errötete und senkte den Kopf. „Es tut mir leid“, sagte sie und scharrte mit den Füßen, wie gescholtene Mädchen es oft taten.

      Tiogan sagte: „Darüber unterhalten wir uns später, jetzt habe ich andere Sorgen. In den nächsten Stunden entscheidet sich, ob ich genügend Männer versammeln kann, um in den Krieg zu ziehen.“

      „Ich will nicht, dass du in den Krieg ziehst.“

      Tiogan hob die Augenbrauen. „Warum nicht?“

      „Ich habe Angst. Was wäre, wenn wir verlieren? Oder wenn du gehst und die Etarianer, die Willet niedergebrannt haben, unsere Stadt angreifen? Wenn wir versagen und Menschen sinnlos sterben? Wie wird der Große Richter über uns urteilen?“

      Der Große Richter und seine Urteile, das schien alles zu sein, was Saoana beschäftigte. Und es war Tiogans Verschulden. Die Gebete in den Verliesen, die tadelnden Worte, die strengen Belehrungen. Vielleicht hatte er es übertrieben, zu oft den Glauben benutzt, um seine Tochter zu erziehen. Manchmal glaubte er, die Angst vor den Urteilen