Christin Thomas

Hope


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aufzog, deutete auf das Flammenmeer hin, in dem all ihre Habseligkeiten untergingen. Der Knall hallte noch immer durch Sams Kopf. Dieser Moment hatte ihm eine Gänsehaut beschert. Jenna war tot und mit ihr starb so vieles aus der Vergangenheit. Es gab kein Zurück mehr. Er wusste, dass sie nun Gejagte waren.

      „Sie werden die Schleusen schließen, Dad!“, rief Sam, dem angst und bange war. Nun würden die Soldaten der Stadt einen Gleiter auf den Sicherheitskameras entdecken, der mit hoher Geschwindigkeit unerlaubten Luftraum durchquerte. Sie würden sicher begreifen, dass sie auf der Flucht nach draußen waren.

      „Da ist sie!“, schrie sein Vater auf, als er endlich die Hauptschleuse in Sicht hatte.

      Hinter ihrem Gleiter tauchten umgehend Fahrzeuge der Luftwache auf, die über ein Funksignal plötzlich im Innenraum zu hören waren. „Halten Sie sofort an oder wir werden schießen müssen!“

      Sam lief der Schweiß die Stirn hinab. Er dachte, er müsse gleich sterben. Er war sich sicher, dass sie gleich abgeschossen würden. Die Angst, die ihn beherrschte, blockierte ihn. Schockiert saß er sprachlos auf der Rückbank, die Finger noch immer in den Sitz gekrallt und die Augen weit aufgerissen. Sein Vater zog den Steuerknüppel nach rechts und der Gleiter wich zur Seite, während ein Geschoss an ihnen vorbeizog und in die Schutzkuppel Cyrons einschlug. Sky riss erschrocken die Augen auf und warf einen prüfenden Blick auf ihren Schützling. Wie betäubt vernahm Sam den Befehl sich festzuhalten, als sich ihr Gleiter der Hauptschleuse näherte. Sie war bereits fast geschlossen und der kleine Spalt schien viel zu winzig zu sein, um dort lebend hindurchzukommen. In diesem Augenblick drehte sich das Fahrzeug gänzlich auf die Seite und Sam drohte mit dem Oberkörper auf Sky zu rutschen. Er schrie aus Leibeskräften und Sky schlug sich den Kopf an der Scheibe. Sein Vater durchbrach die Hauptschleuse und sie hörten das Energiefeld, das sie zu berühren drohte.

      Dann schwang sich der Gleiter wieder in die Horizontale und Sams Körper sackte erschöpft in sich zusammen. Dicht hinter ihnen vernahmen sie das laute knisternde Geräusch, das ihnen sagte, dass die Energiewand sich nun vollkommen geschlossen hatte.

      Sams Vater atmete schwer. „Ist alles in Ordnung?“, erklang seine Stimme. „Geht es euch gut?“

      „Ich habe mir den Kopf gestoßen, aber ich bin nicht verletzt, Robert“, antwortete Sky, die sorgfältig ihre Stirn abtastete. Auch sie sah erschöpft aus, doch das Leuchten ihrer Augen erlosch. Sie spürte die plötzliche Erleichterung des Professors. Sam hingegen fühlte den Schmerz seiner Finger, die sich vollkommen verkrampft hatten, doch auch ihm ging es ansonsten gut.

      „Habe ich jetzt Zeit etwas zu fragen?“, brachte er leise hervor. Er konnte das Nicken seines Vaters sehen. „Wohin fliegen wir?“

      „Wir fliegen erst einmal, bis wir aus der Reichweite ihrer Detektoren sind. Sie werden uns mit großer Wahrscheinlichkeit folgen. Die Explosion durch Jenna wird sie vermutlich glauben lassen, dass sie hinter Attentätern der Magier her sind. Bis sie alle Aufzeichnungen analysiert haben, sollen sie auch genau das glauben. Wir fliegen in das Gebiet der Jäger und werden dort erst einmal Schutz suchen.“

      Sam glaubte sich verhört zu haben. „Bei den Jägern?! Dad! Sie werden uns umbringen!“ Er lehnte sich aufgewühlt nach vorn und griff seinem Vater an die Schulter. „Halt an! Du bringst uns alle um, wenn wir da reinfliegen!“

      Doch Robert entzog sich entschieden dem Griff seines Sohnes. „Es gibt jemanden unter ihnen, der das nicht tun wird.“

      Sky verstand die plötzliche Aufregung nicht. Gespannt lauschte sie dem Gespräch. Noch ohne Kenntnis über die sogenannten Jäger verließ sie sich einzig und allein auf den Professor. Er würde seinem Kind nicht schaden und sie sah dahingehend derzeit keine Gefahr für ihren Paten.

      „Du kennst einen von ihnen?“ Sam ließ sich zurück in den Sitz sinken und wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn.

      „Ja, sie ist deine Tante und auch wenn sie andere Prinzipien hat als wir, so ist sie doch keine Befürworterin dieses Krieges.“

      Er hatte eine Tante? Noch nie hatte er etwas über andere Verwandte gehört. Sams Eltern hatten nie irgendjemanden erwähnt und er hatte schon als Kind begriffen, dass jegliche Fragen nach seiner restlichen Familie unbeantwortet bleiben würden. Nun ahnte er auch warum. In seiner Familie gab es also Jäger, Menschen, die sich von der Technik abgewandt hatten. Und so hatte sich seine Tante mit großer Wahrscheinlichkeit auch von seinen Eltern distanziert. Schließlich waren sie bedeutende Personen in der technischen Forschung Hopes.

      „Aha“, presste Sam hervor. „Und wovor fliehen wir?“

      „Mister Winson hätte keine Freigabe erteilt, Sam. Seine Fragen ließen kein Stück Neugier zu, nur Skepsis. Ich kann das nicht zulassen. Ich sehe nicht zu, wie sie diese Arbeit vernichten und Skys frisch begonnenes Leben beenden.“

      Sams Gesicht verzog sich weinerlich. „Aber du hast Jenna auf dem Gewissen! Wir haben kein Zuhause mehr. Wo sollen wir denn hin? Wo sollen wir leben, wenn man nach uns sucht?“ Der Schock, den die Ereignisse des Tages hervorgerufen hatten, wich den Tränen der Verzweiflung. Er vergrub weinend das Gesicht in beiden Händen. Sein geliebtes Stadtarchiv lag mit jeder Meile, die sie zurücklegten, weiter von ihm entfernt. Die Vorstellung seiner Zukunft verschwamm in der Ungewissheit. Der Traum von einem Besuch auf der Erde zerplatzte. Wieso sollte man dem Sohn eines durchgeknallten Forschers diese Expedition gewähren? Noch vor wenigen Augenblicken war sein Vater ein erfolgreicher und geschätzter Wissenschaftler gewesen. Nun war er nur noch ein Flüchtling, der einen R2 gestohlen hatte und der die Schuld an einer Explosion trug.

      „Ich weiß das, Sam!“, fuhr sein Vater ihn plötzlich ebenfalls aufgebracht an. „Aber es muss sein. Das ist das Ergebnis meines ganzen Lebens. Sie ist die größte technische Errungenschaft unserer Zeit und sie ist ein Teil der Antworten auf unsere Fragen. Wir wurden wie sie erschaffen. Wenn wir in der Lage dazu sind eine fast perfekte Kopie von uns herzustellen, dann war es jemand vor uns vielleicht ebenfalls! Ich lasse mir das nicht nehmen, Sam! Nicht so!“

      Danach herrschte Stille zwischen den beiden. Sein Sohn schniefte, obwohl die Tränen schlagartig versiegt waren. Er hatte seinen Vater noch nie so aufgebracht erlebt. Er hat seine geliebte Jenna für Sky geopfert. Für ihn war es kaum vorstellbar, wie sich sein Vater nun fühlen musste. Der Professor ließ sich jedoch nichts anmerken. Er konzentrierte sich mit starrem Blick auf die Landschaft vor ihnen. Berge erstreckten sich am Horizont und Wälder lagen in der Ferne um sie herum. Noch war der Boden sandig und trocken, doch schon bald würden sie über hohe Baumkronen hinwegsausen.

      Noch schien ihnen niemand zu folgen, doch Sky blickte immer wieder zurück. Jeden Augenblick könnte man ihre Verfolgung aufnehmen. Doch auch vor ihnen gab es vieles, das ihr unbekannt war. Es fiel ihr schwer alles, was passiert war, zu verstehen. Sie hatten die Stadt so schlagartig verlassen, dass sie erst jetzt wirklich begriff, was eigentlich passiert war. Noch vor einem Tag hatte sie sich auf ein friedvolles Leben gefreut: angekommen in einer Familie, mit einem eigenen Zimmer und in der Annahme, dass die Gesellschaft sie aufnehmen würde. Doch nun hatte sie Skepsis durch den Stadtrat erfahren und ihr Zuhause glich längst keinem Heim mehr. Nur einen Augenblick hatte sie in ihrem Zimmer verbracht. Nun wusste sie plötzlich, dass es außerhalb ihrer Vorstellung einen andauernden Krieg gab, einen, in dem sie scheinbar eine Gefahr darstellte – zumindest erinnerte sie sich in diesem Augenblick an die skurrilen Fragen des Ratsoberhauptes. Sie dachte an all das Misstrauen und Sams gerötetes Gesicht und wie er nicht in der Lage gewesen war zu antworten. Er hatte Angst um sie. So wie sie nun um ihn. Diese Welt befand sich schließlich in einem Krieg. Einem, von dem ihr der Professor nichts gesagt hatte. Aber warum nicht? Lag es daran, dass man glaubte, sie könnte sich den Gegnern anschließen, ganz so, wie Mister Winson es befürchtete? Oder hatte Robert sie auch damit nur schützen wollen? Sie war schließlich der Grund für diese Flucht. Er wollte offenbar um jeden Preis, dass sie am Leben blieb. All das tat er für sie. Sky blickte bekümmert zu Sam hinüber. Sie hoffte, dass sein Vater das Richtige tat. Sie wollte nicht, dass ihr Pate ihretwegen in Gefahr gebracht wurde. Doch was konnte sie schon tun? Sky musste einfach vorsichtig bleiben und versuchen weiter auf die Entscheidungen des Professors zu bauen.