Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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mit noch so einem. Kennste den Schubiack noch? Wenn nicht, dann hastes gut.

      O doch, ich kannte Qualle noch! Der hatte mir auf dem Mallendarer Berg mal einen Stein an die Birne geschmissen, und ich hatte geblutet wie ein Schwein.

       Jedenfalls konnten Holger und ich dessen Visage nicht länger als zwei Sekunden ertragen und sind dann bis zur Einfahrt vom Hochhaus gelatscht, um von da aus weiterzutrampen, und zum Glück hat uns nach zehn Minuten langen Wartens ein zivilisiertes Mitglied der menschlichen Rasse mitgenommen.

       Sonst ist bei uns sehr viel passiert. Nämlich – gar nichts! Absolut gar nichts!

       Bloß geregnet hat’s wie verrückt. Eigentlich wollte ich ja heute mal wieder ins Wambachtal gehen. Aber ich mußte noch Hausaufgaben machen, abtrocknen, saubermachen etc. etc. etc.

       Tschüß denn, und drück uns die Daumen wegen dem blöden Fußballpaß da!

      Um nicht gänzlich aus der Übung zu kommen, setzte ich mich ans Klavier und spielte den Türkischen Marsch, mein Bravourstück.

      »Nicht so wild!« rief Mama aus der Küche.

      Auf dem Mallendarer Berg hatte ich Klavierunterricht gekriegt, aber in Meppen noch nicht. Mama war der Ansicht, daß ich mich erst in der Schule akklimatisieren und gute Noten mitbringen solle. Dann könnten wir über eine Anmeldung in der Musikschule reden.

      An den Wohnzimmerfensterbänken machten sich drei Handwerker zu schaffen, mit Stemmeisen, Kalk und Zement. Wenn ich anders enden wollte als diese Brechmänner, mußte ich das Abitur packen oder mir als Fußballprofi einen Namen machen.

      Beim Training war ich der dritte, den Didi in seine Mannschaft wählte, und er schoß nach einem Doppelpaß mit mir das 1:0, obwohl Uli Möller im Tor stand, der sonst ausnahmslos alles hielt.

      »Achtung, Hintermann!« Das mußte man schreien, wenn einer unbemerkt von hinten angegriffen wurde und den Ball zu vertändeln drohte.

      Gladbach besiegte Duisburg mit 3:0 und führte jetzt die Bundesligatabelle an. Auf dem Fußballplatz lief alles wie am Schnürchen, sowohl am Bökelberg als auch im Hindenburgstadion. Richtig mies war nur die Schule. Wenn die nicht gewesen wäre, hätte ich mich in Meppen zwar noch nicht heimisch, aber doch wohler gefühlt.

      Am allerbesten war es, die Schule hinter sich zu haben und zuhause einen nagelneuen Brief von Michael zu lesen, und am allerallerbesten war’s, wenn er von seinem Pech erzählte.

       Am Sonntag haben Holger und ich ’ne Fahrradtour gemacht. Hier die Route: Simmern, Neuhäusel, Arzbach, Bad Ems, Lahnstein, Horchheimer Höhe, Arzheim, Ehrenbreitstein, Mallendar, Gartenstadt und wieder heim. Äääächz! Und in Mallendar waren so Kaugummiapparate. Die waren unser Ruin! Ich habe ja nur 50 Pfennig ausgegeben, aber Holger ganze 60 Pfennig! Zuerst haben wir nur Kaugummis gezogen. Dann war da noch so ein Apparat mit Kapseln für 20 Pfennig. Holger zog. Und was kam raus? Ein grauer, klebriger, schmieriger, verdreckter Kaugummiklumpen! Zu nichts zu gebrauchen! Holger hat ihn gleich weggeschmissen. Und was tut er dann? Er ist übergeschnappt! Er holt sich da noch was! Diesmal kommt eine Kapsel raus. Was ist drin? Ein zwei Millimeter großes Gummivieh und ein Ring. Was steht auf dem Ring? Love you, love you, love you! So ein Schiet!

       Und in Arzheim hatte Holger einen Riesendurst. Zu unserer Rettung kamen wir an so ’nem Automaten vorbei, wo man was zu trinken ziehen und zwischen Limonade und Bier wählen konnte. Holger will natürlich Limo. Aber was ist das? Vor dem Einwurfschlitz ist Klebeband! Kaputt! Oben beim Bier ist alles in Ordnung. Der Durst treibt Holger zu einer Greueltat: Er zieht sich für 1 DM ’ne Flasche Bier! Und was noch bestürzender ist: Er trinkt sie auch aus! Ganz alleine! (Ich wollte nichts, bää!) Deswegen mußten wir erstmal auf ’ner Bank ’ne halbe Stunde ausruhen. Dann konnten wir so halbwegs weiter. Holger war aber eine Gefahr für den Straßenverkehr …

      Und was war jetzt mit meinem Spielerpaß?

      Papa rechnete abends lange herum, mit Papier und Bleistift, bis er herausfand, daß er seiner Lebensversicherung elf Mark sechzig zuviel überwiesen hatte.

      In dem Bau, wo auch der Konfirmandenunterricht stattfand, sollte ein Klassenfest steigen, und ich ging hin, aber das hätte ich besser gelassen. Ich kriegte eine Zigarette angeboten von Ulla Nölting, die Klassensprecherin war, und als ich ablehnte, sagte sie: »Du spielst wohl lieber mit Puppen oder was?«

      Fünf Minuten lang blieb ich noch da, rein anstandshalber, und dann machte ich mich dünne.

       Siehst du die Kreuze am Waldesrand?

       Da liegen die Raucher von Stuyvesant.

      Großer Gott. Ob jetzt alle dachten, daß ich lieber mit Puppen spielte, als Zigaretten zu paffen? Wäre ich da bloß nicht hingegangen!

      Gladbach mußte auswärts gegen Rot-Weiß Essen antreten. Da spielte Ente Lippens mit, ein brandgefährlicher Sturmtank, dem beim Stand von 0:2 der Anschlußtreffer glückte. In der zweiten Halbzeit sorgte der dänische Wunderknabe Allan Simonsen mit dem 1:3 wieder für klare Verhältnisse. Mit drei Toren, einem Gegentor und zwei Auswärtspunkten wäre ich als Trainer mehr als zufrieden gewesen.

      Als Volker von seiner Klassenfahrt wiedergekommen war, löcherte Mama ihn mit Fragen nach dem Heidelberger Faß und dem Philosophenweg, aber Volker schaltete auf stur.

      »Seid ihr denn auch mal zum Königstuhl gewandert?«

      »Weiß ich nicht.«

      »Was? Du weißt nicht, ob ihr zum Königstuhl gewandert seid?«

      »Wir sind auf alle möglichen Berge gekraxelt«, sagte Volker, und man merkte, daß er keine große Lust dazu hatte, Anekdoten aus dem Ärmel zu schütteln.

      Renate reiste nach Birkelbach ab, zu ihrer Landfrauenschule im Rothaargebirge. Das hörte sich gut an: Rothaargebirge. Nicht so gut wie Elfenbeinküste oder Rocky Mountains, aber besser als Emsland.

      Vor dem Spiel gegen Schwefingen händigte Uli Möller mir mein Trikot aus, mit der Rückennummer 4, und er zeigte mir Schwefingens Mittelstürmer. Den sollte ich decken. Also rannte ich hinter dem her, wohin er auch lief, über das gesamte Feld, wenn’s sein mußte, und sobald ihn jemand anspielte, war ich zur Stelle und kickte den Ball ins Aus.

      »Der Pappnase hast du’s gezeigt«, sagte Uli Möller in der Pause.

      Auch in der zweiten Halbzeit kam der Mittelstürmer nicht mit dem Ball an mir vorbei. Im Rennen, Grätschen und Wegspitzeln war ich gut, und wenn es darum ging, den Ball nach vorne zu treiben, brauchte ich nie lange nach Didi zu suchen, der sich unermüdlich freilief und anbot. Ein echter Aktivposten war auch Glübi, der so hieß, weil er bei der geringsten Kraftanstrengung eine feuerrote Rübe kriegte, wie eine rote Glühbirne. Glübi war ein wendiger und antrittsschneller Linksaußen. Einen hohen Paß servierte ich ihm einmal mit der Fußballschuhspitze, mit der man eigentlich nicht schießen sollte, aber der Ball flog in hohem Bogen – »Schööön!« schrie Didi – über alle gegnerischen Abwehrspieler hinweg und sprang genau vor Glübis Füßen auf, und der zog ab ins rechte obere Eck. 1:0! Das war der Sieg.

      In der Kabine knallte Uli Möller einen Pappkarton mit Gebäck auf die Sitzbank: Plunderteilchen, Streuselkuchen, Nußecken, Rosinenschnecken und Mandelhörnchen! Affengeil! Und es gab sogar noch Coca-Cola!

      Papa reparierte die Nähmaschine. Wenn ich mal verheiratet wäre und ’ne Frau hätte, die mich darum bitten würde, ihre kaputte Nähmaschine zu reparieren, würde ich dastehen wie Pik Sieben, aber Papa machte das alles mit links. Der hatte eben Maschinenbau studiert, und dazu zählte offenbar auch Nähmaschinenbau.

      Ich hätte es ja nicht für möglich gehalten, aber der Weiler hatte was in der Hinterhand, das noch bescheuerter war als Basketball – eine Schwimmstunde im Freibad! Schreckhecklefeck laßhaßlefaß nachhachlefach! Wie grausig, da am Beckenrand antanzen zu müssen, mit nichts am Rumpf als ’ner kneifenden Badehose, mitten zwischen den Mädchen,