Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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springen sollten.

      Irgendwie gelang es mir, mich vor allem zu drücken. Die meiste Zeit standen wir sowieso nur wie Falschgeld rum, während der Weiler mit dem Bademeister am Palavern war.

      Kalt erwischt hatte es auch Michael, wie ich seinem nächsten Brief entnehmen konnte.

       Brblbrllbl!

       So, heute will ich mal probieren, Dir einen richtig langen Brief zu kritzeln. Aber worüber?

       Aus der Freizeit in Konfi wird nichts. Erstens habe ich keine Lust, mit diesen Draufgängern irgendwo vier Tage zu verbringen, und zweitens haben wir ja sowieso kein Geld.

       Heute war Schwimmwettbewerb von der Schule aus. Wir mußten hin. Freiwillig wäre ich nicht gegangen, wo ich doch kaum schwimmen kann. Aber wo ich ja mußte … Also bin ich heute mit dem 9-Uhr-Bus nach Koblenz zum Beatus-Bad gefahren. Kennste sicher nicht. Jedenfalls hab ich da zehn Minuten lang gewartet, und dann ist unsere Klasse drangekommen. Erst mußten wir uns in einer engen, stinkigen Sammelkabine umziehen. Dann konnten wir zum eigentlichen Bad gehen. Da warteten wir was, und dann ging’s los. Nach dem Alphabet wurden wir aufgerufen. Ich kam im zweiten Lauf auf Bahn 2. Man konnte entweder vom Startblock abspringen oder auch schon ins Wasser gehen. Ich wählte letzteres, weil ich mir immer erst die Augen reiben muß, wenn ich mit dem Kopp unter Wasser komme. Schwimmen mußten wir 50 m, und da die Bahn nur 25 m lang war, mußten wir auch einmal wenden. Das war ja wohl der größte Mist, wenn man davon absieht, daß das Wasser eiskalt war und fast geknistert hat vor Chlor. Aber jetzt zum Rennen: Zuerst ging’s bei mir noch recht schnell, aber dann … Ich muß wohl als Letzter oder Vorletzter ins Ziel gegangen sein. Schnauf! Und als ich dann aus dem Wasser wollte, da kam ich kaum raus! Meine Arme waren lahm, ich hatte ’nen Krampf in den Zehen, und meine Beine konnte ich wegschmeißen. Ich muß ja wohl ’ne schöne Figur abgegeben haben!

       Das »neue« Auto von meiner Schwester ist schon wieder kaputt. Sie hat sich reingesetzt, und irgendwas hat »kracks« gemacht. Na, und jetzt springt die Karre nicht mehr an. Schön blöd, für 3800 DM ein Auto, das nur eine Woche lang hält!

       Weißt Du was? Gestern war doch Donnerstag. Um 5 Uhr sitze ich also irgendwo herum, und da fällt mir plötzlich Dein Spielerpaß ein. Ich wetze also zum Sportplatz, treffe den Trainer und frage ihn. Und was sagt der mir? Daß er ihn schon längst weggeschickt hat! Hast Du ihn etwa schon und hast uns nichts davon geschrieben? Na warte, wenn das stimmt! Da blamiert man sich nun für nichts und wieder nichts!

       So, und jetzt ist mein Grützehirn ausgekratzt. Nichts mehr, aber auch gar nichts mehr drin.

       Vielleicht sollte ich zu Deiner Weiterbildung beitragen und Dir irgendeinen lateinischen Satz schicken. Wenn Du willst, kannst Du ja mal versuchen, ihn zu übersetzen: Scimus cuncti, ut stultus sis.

       Dann mach Dich mal dran. Salve, tuus Michaelus!

      Daß mein Spielerpaß sich bereits in Meppen befand, hatte ich nicht gewußt.

      Beim Dienstagstraining wählte Didi mich als ersten in seine Mannschaft und sagte: »Martin, das bedeutet Kampfgeist!«

      Wir gewannen 9:3. Einmal hatte ich auf der Linie geklärt und beim Konter den fliegenden Torwart Uli Möller mit einer unhaltbaren Bogenlampe bezwungen.

      Nach dem Training tanzten alle splitternackt in der Gemeinschaftsdusche herum, bis auf mich. Ich duschte lieber zuhause.

      Abends erwarteten Mama und Papa Besuch von Herrn und Frau Lohmann, einem Pärchen, das Papa wohl nicht hatte abwimmeln können. Herr Lohmann arbeitete auch auf der E-Stelle und seine Frau als Lehrerin an Wiebkes Grundschule.

      Mama war schon seit den ZDF-Nachrichten zwischen Küche und Wohnzimmer hin- und hergehuscht und hatte auf den Couchtischen Salzstangen, Fischlis, Aschenbecher, Weingläser und Untersetzer aus Kork plaziert. »Und nun seid bitte so gut, uns hier in Frieden zu lassen«, sagte sie zu Volker, Wiebke und mir. »Wenn ihr euch still auf eure Zimmer zurückzieht und keinen Streit miteinander anfangt, könnt ihr noch ’ne Viertelstunde aufbleiben. Habt ihr gehört?«

      Die einzige, die Streit anfing, war Wiebke, nachdem ich angeblich das letzte Quentchen Zahnpasta aus der Tube gepreßt hatte.

      »Spurt ihr jetzt da oben?« zischte Mama. »Oder muß ich euch erst Beine machen?«

      Aus dem Wohnzimmer tönten Gläserklirren und Gelächter.

      Am nächsten Abend hatte ich die Qual der Wahl: Um Viertel nach neun fing im Zweiten »Lachen Sie mit Stan und Ollie« an, präsentiert von Theo Lingen, und um Viertel vor zehn im Ersten das Länderspiel Österreich gegen Deutschland. Wiebke und Volker wollten Stan und Ollie kucken. Um des lieben Friedens willen verzog ich mich um Viertel vor zehn in mein Zimmer und machte das Radio an.

      Österreich verlor 0:2, durch zwei Tore von Erich Beer, und ich war froh, ein Deutscher zu sein. Die Österreicher schnitten immer unter ferner liefen ab, genauso wie die Schweizer mit ihren komischen Möchtegernvereinen. Wer wollte schon bei Grasshoppers Zürich spielen? Juventus Turin, Benfica Lissabon, Real Madrid oder eben Borussia Mönchengladbach, das war ein anderer Schnack.

      Michael hatte wieder eine Menge Pech gehabt.

       Neulich sind Holger und ich zum Pfarrer gegangen und haben gesagt, daß wir nicht mit zu der Freizeit da können. Aber da hatten wir nicht mit dessen Tatkraft gerechnet. »Ihr kommt schon mit, keine Angst, ich komm demnächst mal vorbei und bespreche alles mit eurer Mutter.« Äff, jetzt können wir, besser gesagt: müssen wir vielleicht doch noch mit! Schöne Scheiße! Mit der ganzen idiotischen Bande! Das wird mein Untergang!

       Zur Aufbesserung unserer Lage haben Holger und ich uns für 4 DM bei Spar einen Drachen gekauft. Wenn Wind ist, dann fliegt er ganz akzeptabel, aber: WANN IST HIER DENN SCHON MAL WIND? Nie, absolut nie. Alles umsonst.

       Hinten auf dem Stoppelfeld beim Rehabilitationszentrum (ein längeres Wort konnten die sich wohl auch nicht ausdenken) bauen sie jetzt ’ne Schule. Dann können wir den Drachen überhaupt nicht mehr fliegen lassen. Und im Wambachtal reißen sie sämtliche Wege für eine Ferngasleitung auf.

       Das Schwimmbad war für 14 Tage geschlossen, weil sich da ein paar Leute irgend ’ne fiese Krankheit geholt haben. Schöne Sauerei. 20 % Pisse sollen da im Wasser rumgaukeln, und im Schwimmer mehr als im kleinen Becken. Jaja, die lieben Erwachsenen. Auf den Kindern könnense rumhacken, aber sie selbst sind natürlich die größten Ferkel.

       Verflixt und zugenäht. Es muß doch noch irgendwas passiert sein? Bei aller Langeweile, da war doch … ja, natürlich. Vorgestern waren Holger und ich in Bad Ems, Tretbootfahren. War prima! Oder, wenn man’s genau nimmt, auch wieder nicht. Also, wir sind eingestiegen und gleich runter zum Springbrunnen in der Lahn. Da kann man sich nach Herzenslust vollspritzen lassen. Aber genau in der Sekunde, wo wir dahinkommen, geht das Ding natürlich aus. Verflucht! Zum Abreagieren haben wir die Enten eingeschüchtert, die da so rumschwammen. Und ’ne Flaschenpost haben wir gefunden, allerdings war die Flasche bloß voller Bierdeckel, und die haben wir nicht rausgekriegt. Holger wollte dann unbedingt an einem Brückenpfeiler anlegen. Das hat leider nicht so ganz geklappt. Wir sind irgendwie zu schnell gewesen und zu steil drauflos. Jedenfalls sind wir voll mit dem Bug angeknallt. Die Leute auf der Brücke haben alle doof geglupscht. Hatten ja auch allen Grund dazu. Danach sind wir so ’nem Angler zu nah auf den Pelz gerückt. Mann, hat der gemeckert!

       Und dann war die Stunde um.

       Das waren die aktuellen Nachrichten aus Vallendar.

      Im Training übten wir Ballannahme. Innenrist und Außenrist. Wie man den Ball abschirmt, wenn man trotz Hintermann angespielt wird, und wie man halbhohe Bälle von der Brust abtropfen läßt. Das wollte alles gelernt sein.

      Als ich am Samstag aus der Schule kam, schickte Mama mich gleich wieder raus, zum Unkrautschöveln. »Da fällt dir schon kein Zacken aus der Krone.«

      Wie