Gottfried von Straßburg

Tristan und Isolde


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solcher Vollkommenheit

      In Wißen und Betragen

      In des halben Jahres Tagen,

      Daß von ihrer Seligkeit

      Das Land erfüllt war weit und breit,

      Und ihr Vater daran

      Sich höchlich zu erfreun begann;

      Auch die Mutter freut' es inniglich.

      Nun fügt' es unterweilen sich,

      Wenn ihr Vater fröhlich war,

      Oder fremder Ritter Schar

      Zu Hofe vor dem König saß,

      Daß Isot in den Pallas

      Vor ihrem Vater ward gesandt.

      Was da der Schönen war bekannt

      Von schöner Kunst und Höfischkeit,

      Damit kürzte sie die Zeit

      Ihm und dem ganzen Kreiß der Leute:

      Denn womit sie ihren Vater freute,

      Des freuten sie sich all zugleich.

      Hoch und Nieder, Arm und Reich

      Hatten an ihr beide

      Eine selge Augenweide,

      Der Ohren wie der Herzen Lust:

      Außer- und innerhalb der Brust

      War ihre Lust Isolde.

      Die reine, die holde,

      Sie schrieb und las, sie sang und spielte:

      Der Andern Freude nur erzielte

      Sie mit den Melodieen.

      Sie fiedelt' ihre Stampenieen,

      Ihre Leich' und fremden Nötelein,

      Die nicht fremder konnten sein,

      In französischer Weise

      Sanz und St. Denis zu Preise;

      Der Leiche wuste sie gar viel.

      Ihr Leier- und ihr Harfenspiel

      Schlug sie zu beiden Seiten hin

      Mit den Händen blank wie Hermelin,

      Daß alle Welt sie priese:

      In Lut und in Thamise

      Schlugen Frauenhände nie

      Die Saiten süßer als sie.

      La duze Isot la bele

      Sang ihre Pastorele,

      Ihr Rotruwansch, Rundate,

      Schanzun, Refloit, Folate

      Wohl und wohl und allzu wohl,

      Denn viel der Herzen wurden voll

      Mit sehnlichem Trachten:

      Viel Trachten ward und Schmachten

      Von ihrem Spiel hervorgebracht,

      Und Gedanken wunderviel gedacht,

      Wie ihr wohl wißet, daß geschieht,

      Wo man ein solches Wunder sieht

      Von Schönheit und von Höfischkeit

      Wie an Isold der schönen Maid.

      Wen soll ich ihr vergleichen,

      Der schönen, wonnereichen,

      Als der Sirenen eine,

      Die mit dem Wundersteine

      Die Kiele ziehen zu sich?

      So zog Isolde, dünket mich,

      Viel Herzen und Gedanken an,

      Die sich sicher schon, o Wahn!

      Deuchten gegen Liebesschlingen.

      Auch sind wohl in Vergleich zu bringen

      Kiel' ohne Anker auf der Flut,

      Und der Männer loser Muth.

      Selten wißen die Beiden

      Sich des Wegs zu bescheiden,

      Schweben so oft auf fremdem Meer:

      Die Woge wirft sie hin und her

      Mit Wanken und mit Schwanken.

      Der Männer irrende Gedanken,

      Sie möchten minnen ohne Ziel,

      Wie ein ankerloser Kiel

      Reist ohne Ziel der Reise.

      Isot, die höfsche, weise,

      Die junge süße Königin,

      Zog also die Gedanken hin

      Aus manches Herzens Schiffe,

      Wie der Magnet zum Riffe

      Die Barke bei Syrenensang.

      Ihr Singen in die Herzen drang

      Laut und offen durch das Ohr

      Und heimlich durch der Augen Thor.

      Jener offene Gesang,

      Mit dem sie allerwärts bezwang,

      Das war ihr süßes Singen,

      Ihr sanftes Saitenklingen,

      Das laut zu offnen Thoren

      Durchs Königreich der Ohren

      Nieder in die Herzen klang;

      So war der heimliche Gesang

      Ihre wunderbare Schöne,

      Die mit bethörendem Getöne

      Heimlich und verborgen sich

      Durch der Augen Fenster schlich

      In manches edeln Herzens Schrein

      Und stellt' ihr Zaubernetz hinein,

      Das die Gedanken zuhand

      Fieng und mit Stricken band

      Des Sehnens und sehnlicher Noth.

      So ward die schöne Magd Isot

      Seit sie in Tristans Lehre war

      Gefördert in dem halben Jahr:

      Rein und schön war nun ihr Muth

      Und ihr Gebahren süß und gut.

      Sie konnte fertig schönes Spiel,

      Sie konnte Fertigkeiten viel,

      Briefe und Schanzonen dichten,

      Die Gedichte sauber schlichten,

      Sie konnte schreiben und lesen.

      Nun war auch Tristan genesen

      Seines Übels ganz und gar,

      Daß seine Farbe wieder klar

      Und lauter ward sein Angesicht.

      Da ließ von ihm die Sorge nicht,

      Daß Einer aus dem Heere

      Erkennte wer er wäre;

      Und lag ihm stäts im Sinne,

      Wie er es nun beginne,

      Daß er Urlaub nähme

      Und aus den Sorgen käme.

      Er dachte, würden sie es innen,

      Ihm möchten beide Königinnen

      Schwerlich jemals Urlaub geben,

      Und wuste also, daß sein Leben

      Stäts in der Ungewissheit